Zipfelklatscher
Ausdruck. Noch mal von vorne.
»Eigentlich wollte ich nur einen Klosterlikör holen.«
Schwester Sebastiana stellt zwei bauchige Halbliterflaschen mit unterschiedlich dunklen Flüssigkeiten vor mich hin.
»Für den Ausschank oder für deinen Vater? Der nimmt nämlich immer den Halbbitteren. Oder soll der etwa für dich sein?«
Sie mustert mich. Ich weiß, dass mein T-Shirt aussieht, als hätte ich mir damit die Gummistiefel poliert, schließlich habe ich es geschafft, in zehn Minuten dreißig Räucherfischsemmeln zusammenzubauen. Aber darum geht es ihr nicht. Sie hat so einen »Du weißt schon, was aus dem Rudi geworden ist, seitdem er schon in der Früh mit dem Trinken anfängt?«-Blick, und mein total berechtigtes Bedürfnis, den helllichten Vormittag mit einem kleinen Nopi noch heller zu machen, verdunstet wie ein Tropfen Wasser auf dem heißen Bootsdach.
»Du siehst ein wenig angegriffen aus, mein Kind. Wie geht’s denn überhaupt?«
»Ach, ich habe heute nur schlecht geschlafen. Der Vollmond, weißt du!«
Ich reiße die müden Augen weit auf und versichere: »Aber das Geschäft wird heute sicher gut anlaufen, und ich rechne fest damit, dass wir diesen Sommer die erste positive Bilanz ziehen können.«
Schwester Sebastiana hat immer noch den gleichen Blick drauf, als sie mich unterbricht.
»Das musst du mir nicht erzählen, mein Kind, ich bin nicht der Herr Wedehopf von der Sparkasse in Breitbrunn. Ich weiß, mit wieviel Schulden du den Betrieb übernommen hast, ich mache schließlich deine Steuer. Wärst du bereit, mir zu erzählen, wie es dir wirklich geht?«
»Gut. Heute vielleicht ein bisschen müde, aber mir geht’s gut.«
»Das ist schön, denn du hast auch einen wunderbaren und einzigartigen Beruf. Aber was macht die Liebe, mein Kind?«
»Keine Zeit. Paps und der Betrieb, das reicht!«
»Und was ist dann das hier? Das können nicht die Spuren der Zeit sein, mein Kind, nicht in deinem jungen Gesicht!«
Die Klosterfrau tippt mit ihrer nach RiBluBa duftenden Hand an meinen Mundwinkeln herum, gerade als ich den nächsten Schluck Druidenwasser nehmen will.
»Das sind neue Sorgen! Warum ist dein Vater denn heute Morgen auf den See gefahren, wo doch heute so viel zu tun ist?«
Wieso bekommt hier eigentlich jeder alles mit?
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Papa war heute auch schon im Pyjama im Inselladen. Und ich hatte eigentlich gedacht, dass er sich nach Mamas Tod allmählich wieder gefangen hat. Aber wenn ich mir ihn so anschaue die letzten Tage …«
»Nun, das ist ja auch der Grund, warum du jetzt die Chefin bist. Als die Liesl so plötzlich von uns gegangen ist, das war für euch alle gleichermaßen schwer. Aber ihr Mädels seid jung, und Zwillinge haben immer eine besondere Bindung.«
Ich denke an Fränzis Paket von heute Morgen und die bescheuerten Schuhe in unserem Küchenschrank, und nicke einigermaßen überzeugt.
»Aber deinen Vater kostet es immer noch viel Kraft, den Verlust zu verarbeiten. Andere Leute gehen in die Kirche, er kümmert sich um seine Fischlein und um seine Musik, jeder hat da seine Art, sich in sich selbst zurückzuziehen. Zumal Grönemeyer ja auch ein ganz besonderer Musiker ist, der ebenfalls seine geliebte Frau verloren hat.«
Ich bin erstaunt, wie gut Sebastiana über Grönemeyer Bescheid weiß, aber bevor ich ihr das sagen kann, erscheinen im schmalen Fenster unter der Gewölbedecke ein Paar weiße Kniestrümpfe und der Saum eines taubenblauen Kittels.
»Das ist Ursula, die will zu uns. Ich muss los!«
Schwester Sebastiana begleitet mich die vier ausgetretenen Stufen hoch ans Tageslicht und wir sehen beide noch, wie sich der Bug des Elf-Uhr-Dampfers majestätisch in die Kurve legt, um am Hauptsteg anzulegen. Zufrieden sehe ich zu, wie viel potenzielle Fischsemmelkonsumenten sich von den Decks zum Ausgang drängeln. Neben diesem Gewusel nimmt sich der einzelne Mann, der auf dem Haupsteg steht, klein und einsam aus. Es ist der Michi, der als einziger die Insel verlassen will.
»Der hat heute einen wichtigen Termin«, erzähle ich Schwester Sebastiana und kneife die Augen zusammen, um mich zu vergewissern, dass er seine Feuerwehruniform tatsächlich gegen einen türkis und grasgrün leuchtenden Jogginganzug getauscht hat.
Schwester Sebastiana nickt.
»Wichtige Termine. Soso.«
Und im Hinuntergehen ruft sie mir dann noch zu: »Da wünschen wir ihm doch viel Glück, nicht wahr, mein Kind? Aber der Michi, der braucht dringend jemand, der ihm sagt:
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