Zipfelklatscher
Wer viel fragt, bekommt viel Schmarrn erzählt. Die Emerenz hat in der Zwischenzeit mit ausgestrecktem Zeigefinger Motorräder gezählt.
»Achte, neine, zehne. Zehn Harleys sind des insgesamt. Und die sollen alle zur Kirch ummi. Aha. Warum fahrts ihr die ned einfach auffi?«
»Dürfen wir nicht. Der Bürgermeister hat gesagt, der Laster ist schon schlimm genug, er will kein Motorradgeräusch am Friedhof entlang.«
»Haben Sie sich bei ihm erkundigt, oder hat das noch der Hans gemacht?«, frage ich ein wenig schadenfroh, weil auch beim Herrn Krug doch nicht alles so reibungslos zu klappen scheint.
»Ich habe gestern dem Bürgermeister diesbezüglich eine E-Mail geschrieben. Das fällt in meinen neuen Aufgabenbereich als Hotelmanager, oderrr?«
Also, da würde ich als Inselbürgermeister auch Nein sagen, wenn mir da so ein Neuer total managermäßig eine E-Mail schreibt und fragt, ob ein paar Hell’s Angels über die Insel brettern dürfen. Meine Laune hebt sich augenblicklich und ich bekomme gönnerhaftes Oberwasser.
»Also, das war eventuell die falsche Herangehensweise. E-Mail ist bei uns nicht immer das Mittel der Wahl. Was sagt denn das Kloster zum Hochfahren an der Friedhofsmauer entlang?«
»Wieso, haben die Schwestern denn hier das Sagen?«, fragt jetzt der Herr Krug. »Wie sind denn auf dieser Insel die Hierarchien? Kloster sticht Bürgermeister? Das würde mich wundern!«
Das klingt ziemlich besserwisserisch, und ich fresse meinen Gummistiefel, wenn der Kerl nicht evangelisch ist.
»Sind Sie eigentlich katholisch?«
»Wieso, ist das hier irgendwie von Belang?«
Na also, der ist durch und durch evangelisch. Wenn ich bisher nicht vorhatte, diesem geheadhunteten Supermanager auch nur ansatzweise unter die Arme zu greifen, bin ich jetzt wild entschlossen, ihm zu zeigen, wie und mit wem man hier richtig verhandelt.
»Ich würde sagen, in dieser Angelegenheit wahrscheinlich schon. Aber ich sehe mal, was ich machen kann. Kommen Sie mit.«
Schwester Sebastiana streckt dem Umkrempler gleich die Hand hin und ich schildere ihr kurz die Lage. Der Schweizer lässt mich sogar ausreden, ohne mir zu widersprechen. Aber Schwester Sebastiana lehnt leider ab.
»Nein, das geht auf gar keinen Fall. Vor allem, wenn die Motorräder richtig laut sind.«
Der Schweizer nickt. »Das sind sie, das sind leider richtig schwere Maschinen!«
Spinnt der? Will der jetzt die Dinger oben im Hotel haben oder nicht?
»So ein Schmarrn! Harleys? So laut sind die doch nicht! Motoguzzis, die sind laut, aber Harleys?«
Schwester Sebastiana muss lachen.
»Meine liebe Kati, selbst wenn du mich glauben lassen willst, dass eine Harley ein Flüstermotorrad ist, wenn der Bürgermeister Nein gesagt hat, können wir dem nicht in den Rücken fallen. Tut mir leid, Kinder. Aber ich muss jetzt hoch zum Gebet.«
Dieser David soll mich gar nicht so amüsiert ansehen, mit so einem Na-das-hat-ja-jetzt-richtig-viel-gebracht-Blick! Er will sich gerade zum Gehen wenden, da hält Schwester Sebastiana ihn am Ärmel fest.
»Wissen Sie überhaupt, wo wir Klosterfrauen beten?«
»Nein. Aber ich möchte Sie nicht länger …«
Schwester Sebastiana spricht jetzt sehr eindringlich.
»Wir beten in einer Kapelle, ganz oben hinter dem Altar. Alle Klosterfrauen. Und wir singen! Laut!«
Wie auf Kommando bimmelt die helle Kapellenglocke los.
»Hört ihr, Kinder? Die Glocke ruft mich! Ab jetzt sind wir Schwestern für zwanzig Minuten in der Andacht. Der Bürgermeister hört diese Glocke übrigens nicht, der arbeitet auf dem Festland!«
Hat sie wirklich schon wieder »Kinder« zu uns gesagt? Ich kann mir nicht helfen, aber das stimuliert gewaltig mein Lausmädl-Ego. Der Schweizer holt Luft, um sicher wieder irgendetwas Managermäßiges zu schwätzen, aber ich zupfe ihn am Sakko und zische:
»Los! Wir haben zwanzig Minuten!«
Auf mein Kommando starten alle Motorräder gleichzeitig, und das mächtige Bollern klingt wie eines dieser fetten Cargo-Flugzeuge, die immer extra tief über den Chiemsee fliegen, weil da die Aussicht so schön ist. Der feine Herr Krug stellt sich oben hin und winkt sie zwischen den Linden durch, bis die letzte chromglänzende Maschine an der Kirche angekommen ist. Ich regle unten den Verkehr und helfe dann dem Lastwagenfahrer, damit er den schmalen Weg bis zur Autofähre zurückstoßen kann. Die Hell’s Angels Gelsenkirchen spuren aufs Wort, sie wissen, dass sie sich sputen müssen, wenn sie ihre Rockerhochzeit standesgemäß
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