Zipfelklatscher
verlaufen? Mit deinem wehen Zeh? Bis nach Gollenshausen?«
»Jetzt langt’s! Du hörst jetzt auf mit deiner Fragerei! Jeder kann sich amal verlaufen! Und überhaupt! Hinterm Haus hockt der Michi und wart auf dich! Kümmer dich zerscht um dein eigenes Sach’!«
Er klappt das Buch zu, dass es nur so staubt und rumpelt ins Haus. Ich schaue mich kurz um, wieviel Gäste unseren kleinen Disput mitbekommen haben und staple als Übersprungshandlung schmutzige Teller übereinander, weil es auf den Biertischen wirklich aussieht wie die Sau und die Ursula vom Verkauf nicht wegkann. Ich kann mich nicht erinnern, wann mein Vater mich jemals so alleingelassen hat. Der Mann ist mir überhaupt ein Rätsel. Vergesslichkeit. Stimmungsschwankungen. Und immer dieser Grönemeyer, oder was ist das, was jetzt aus dem Haus dröhnt? Das kann man doch nicht machen, als Chiemseefischer a. D.! Bodenseekrimis lesen und die Gäste mit Ruhrpottliedern nerven! Gerade rechtzeitig erinnere ich mich daran, warum Schwester Sebastiana gesagt hat, dass die Musik vom Grönemeyer gut für ihn ist, damit er den Tod von der Mama besser verarbeiten kann. Und weil ich deshalb jetzt nicht einfach den Stecker rausziehen kann, muss ich das Problem anders angehen.
»Einen iPod? Für Papa? Weißt du, was gerade bei mir los ist?«
Die Fränzi kann erst einmal nicht nachvollziehen, dass das geschäftliche und private Wohl eines oberbayerischen Fischereibetriebes plötzlich am Kopfhörerkabel eines MP3-Players hängt.
»Aber er hat mir letzte Woche das Fernsehinterview damit ruiniert! Gut, dass ich den Hubsi persönlich kenne, sonst wäre das eine Katastrophe gewesen! Aber stell dir das vor – den Ghettoblaster auf voller Lautstärke, wie ein bockiger Teenager! Jetzt eben schon wieder!«
Fränzi gluckst komisch ins Telefon, und schlägt vor:
»Es gab mal einen iPod von der Mimi als Mitarbeiterbonus. Das ist zwar nicht gerade ein Seniorenmodell, aber wenn du unserem Vater zutraust, sich da reinzufuchsen …«
»Ihm jedes Lied einzeln anzuklicken ist sicher leichter, als ihm den Grönemeyer auszutreiben. Hauptsache, das Ding hat Kopfhörer!«
»Ist schon unterwegs!«
»Aber Jürgen soll bitte draufschreiben, dass das Paket nicht bei der Emerenz abgegeben werden soll!«
»Mach ich. Und du reg dich nicht so auf. Kannst du heute nicht mal ins Yoga gehen?«
»Ich glaube, ich gehe heute lieber noch auf eine Rockerparty. Hell’s Angels.«
»Wirklich? Echte Hell’s Angels?«
Bei meiner Schwester im Hintergrund quietscht es hysterisch, und sie haut mich in die Warteschleife, wahrscheinlich um mal wieder mit ihrem Assistenten zu konferieren. Richtig. Sie meldet sich wieder und sagt:
»Also, der Jürgen sagt, das sind alles rücksichtslose Rammler mit Riesendingern. Und bei denen bist eingeladen? Sei bloß vorsichtig!«
»Na ja, eingeladen ist übertrieben. Erzähl ich dir später. Ich muss weitermachen!«, sage ich und lege auf, bevor sie mir am Ende noch erzählt, woher der schlaue Jürgen das so genau weiß mit den Riesendingern.
Der Michi ist tatsächlich hinter dem Haus. Besser gesagt, ein Michi-ähnlicher Typ in Jeans, Sakko und neongrünen Turnschuhen sitzt an unserem Personaltisch und hat vor sich einen silbernen Laptop aufgeklappt, der nicht dicker ist als die Chiemgauer Zeitung. Ich stelle mich vor ihn hin, bis ich die Schrift auf dem Namensschild lesen kann, das als weitere Neuigkeit an seiner Brust hängt.
»Schicker Computer. Aber seit wann heißt du Mike? Und was ist ein ›Senior Outdoorcoach‹?«
»Ja mei, im Job heiß ich jetzt nicht mehr Michi, sondern Mike. In meiner neuen leitenden Position bin ich halt nicht der Bubi von der Insel. Und ich würd mich übrigens freuen, wenn auch du nicht mehr Michi zu mir sagst. Ich bin jetzt der Mike, okay?«
Ist hier das Management-Fieber ausgebrochen, oder was? Wahrscheinlich erwartet Michi-Mike auch noch, dass ich ihm vor lauter Freude über seinen ehrenwerten Besuch ein Weißbier aus der Kühlung hole.
»Und deine neue leitende Position nimmt dich so wenig in Anspruch, dass du am frühen Abend einfach so bei mir rumhängen kannst? Ich muss noch arbeiten!«
»Ja, ich weiß.«
Michi-Mike klappt seinen Laptop zu und packt ihn in eine schicke Neopren-Tasche, neongrün wie seine Turnschuhe.
»Und ich habe mir heute zwei Stunden freigenommen, damit ich rechtzeitig hier bin, um dir die blaue Tonne rüberzufahren. Hab ich dir doch neulich versprochen.«
Am Ansatz seines roten Hahnenkamms sieht
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