Zipfelklatscher
Familienunternehmen ein Erfolgsmodell zu sein hat, und wenn nicht, dann liegt das nicht daran, dass der Seniorfischer jahrzehntelang keine Buchhaltung gemacht hat, sondern weil jetzt die akademisch verblendete Tochter das Boot steuert, und zwar alleine. Und zwar gar nicht mal so schlecht, wie die meisten am Anfang gedacht haben. Aber das liegt sicher auch daran, dass ich nichts mache außer arbeiten, arbeiten, arbeiten, und privat einfach null Komma null Angriffsfläche biete. Auch wenn das auf Dauer verdammt langweilig ist. Ob ich es vielleicht doch noch einmal riskieren soll, verkleidet zum Hotel hochzugehen? Und was ist, wenn der feine Herr Krug mich erkennt?
Der See nimmt meinen Überlegungen die Spitze, während ich in der kupferfarbenen Abenddämmerung über mein Liebesleben nachdenke. Was mich bewogen hat, heute noch einmal hinauszufahren, weiß ich nicht so genau. Vielleicht, um Michi-Mike, der sich plötzlich so große Sorgen um mich zu machen scheint, schneller loszuwerden, vielleicht um den Kopf freizukriegen. Und als ich die Renken und Brachsen vom Abendfang in die Kühlung packe, habe ich so viele Fische, dass ich morgen früh nicht fischen gehen müsste. Könnte also länger schlafen. Könnte also länger feiern. Könnte also um Mitternacht mal kurz auf die Rockerparty gehen! Obwohl von Party noch nicht die Rede sein kann, vom Hotel oben hört man keinen Mucks, und ich schicke Ursula nach Hause, weil sich offensichtlich doch niemand ein weniger gehobenes Bierchen abholt. Schade eigentlich. Ich mache mir selbst ein eiskaltes Helles auf und setze mich so vors Haus, dass ich den Sturmschaden nicht direkt vor der Nase habe. Flasche in der Hand, noch in der Gummilatzhose mit dem dreckigen T-Shirt drunter. Immer nachdem ich abends den Schlachtraum fertig ausgespritzt habe, trinke ich mein Feierabendbier in einem Zug, direkt aus der Flasche. Es muss eiskalt sein, wirklich eisig, weil es dann mit einem schmerzhaften Druck sofort in den Kopf steigt, Stirn und Schläfen kurz schockfrostet und meine Mundwinkel wie ferngesteuert nach oben zieht, zu einem sinnlos glücklichen Lächeln. Dieses Abendritual fühlt sich an wie der See und die Insel, wie mein Leben hier: Glück mit einer leicht schmerzhaften Note. Auch wenn es im Moment ein bisschen mehr wehtut als sonst, das Inselleben.
»Entschuldigen Sie?«
Na also, da kommen sie doch noch, die Biker. Ein paar von ihnen bleiben am Eingang zu unserem Biergarten stehen und scharren mit den Boots. Ich stehe auf, um sie zu begrüßen.
»Wollt ihr was trinken?«
»Jetzt nicht. Wir suchen meine Braut! Nö. Meine Frau!«
Weil der Typ mit der Lederweste und den fleischigen Oberarmen der Einzige ist, der ein rotes und kein schwarzes Kopftuch trägt, so piratenmäßig im Nacken gebunden natürlich, nehme ich einfach mal an, dass er der Bräutigam ist.
»Vor dem Dessert wollten wir uns eigentlich gemeinsam tätowieren lassen, und jetzt ist sie weg!«
Der frischgebackene Ehemann hat den Kinnbart zu zwei Zöpfen geflochten und sieht mich mit einem flehenden Blick an, der mich eher an einen Hirten- als einen Höllenhund erinnert.
»Brautraub, jaja, so was soll es geben. Seid ihr immer noch beim Essen?«
»Ja, wir bekommen ein Fünf-Gänge-Menü, weil der vom Hotel gesagt hat, wenn eine Harley fünf Gänge hat, dann sollte das ein Hochzeitsmenü auch haben!«
Das ist natürlich nicht blöd, muss ich zugeben. Diese Streberbacke würde wahrscheinlich auch noch einem Toten eine Brotzeit aufschwatzen.
»Wir haben die Insel bereits abgesucht, aber Carmen ist weg. Die sollen hier mit ihr runtergegangen sein, sind aber nie am See angekommen, denn da habe ich einen Streckenposten stationiert, weil ich schon so etwas geahnt habe.«
»Die taucht schon wieder auf. So eine Braut im weißen Kleid, die kann doch auf der Insel nicht einfach verschwinden.«
Ich winke die Gang hinter mir her, um die Nopi-Flasche aus dem Ausschank zu holen.
»Nicht weiß, schwarz! Carmen hat ein schwarzes Kleid an!«
»Stimmt, das hat mir vorhin die Nachbarin erzählt! Na, dann steckt sie sicher irgendwo in der Räucherkammer. Da fällt sie am wenigsten auf.«
»Gute Idee! Können Sie mal nachsehen?«
Das meint der jetzt nicht ernst, oder? Aber dem armen Kerl rinnt das Wasser unter seinem roten Kopftuch hervor. Offensichtlich ist er es nicht gewohnt, so viel zu Fuß zu gehen. Und dass seine Carmen nicht hinter ihm auf dem Bock hockt und sich an seinem feisten Rücken festklammert. Ich erbarme
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