Zipfelklatscher
mich, und nachdem ich jedem ein Nopi-Stamperl in die Hand gedrückt habe, schaue ich tatsächlich in meiner Räucherkammer nach. Ich bin ziemlich erleichtert, keine verrußte Rockerbraut da drin sitzen zu sehen, aber ich weise den Herren in Leder den Weg zum Lechner Sepp und frage zum Abschied noch ganz nebenbei: »Ist denn der Herr Krug auch noch oben?«
»Der Herr Krug vom Hotel? Den habe ich schon lange nicht mehr gesehen! Der hätte das auch sicher verhindert. Carmeeeeeen!«
Na klar, der hat sich verzogen, weil die Hell’s Angels irgendwann nach Pommes und Currywurst geschrien haben bei dem gehobenen Pampf da oben. Wenke Fischer, das ist dein Einsatz! Die Gang schiebt mit schweren Tritten ab zum Lechner Sepp, und ich sehe ihnen nach. In der Mitte der Bräutigam, und um ihn herum noch vier weitere Typen mit quietschenden Lederhosen. Sind diese Typen nicht alle unverbesserliche Machos? Ich denke an Fränzis Warnung. Ach, und wenn schon, beschließe ich, wär das ein Problem? Was soll an diesen Lederhosenträgern so anders sein als an den Jungs in den Hirschledernen vom Jungbauernverein? Und sie haben den großen Vorteil, dass ich sie nie mehr wiedersehen werde!
Jetzt muss ich mir nur noch überlegen, wo noch mal die alten Motorradklamotten von meinem Großvater sind, denn wenn mich nicht alles täuscht, müsste mir die Hose passen. Leider, denn mein Opa war alles andere als ein schmächtiger Mann.
»Und der Ritter Immerblau hat a tättowierte Frau. Wann er nachts ned schlaffa ko, schaugt er si die Buidln o. Ja so warns, ja so warns, ja so warns, die oidn Rittersleid …«
Dieses Lied kommt mir in den Sinn, als ich den Saal betrete. Eigentlich hatte ich eher herumfliegendes Mobiliar erwartet, aber eine Tätowiernadel surrt, dass es eine Freude ist, und neugierige Hell’s Angels recken die feisten Hälse. Ich kann nicht erkennen, welch lebenslanges Kunstwerk sich das offensichtlich wieder glücklich vereinte Brautpaar stechen lässt, und will meinen Kopf mit dem rockermäßig gebundenen Trachtenkopftuch nicht durch die Leute drängeln. Die restlichen Herrschaften sitzen in kleinen Grüppchen auf den alten Eichenstühlen oder an der Bar, Gläser mit einem schwarzen schaumigen Zeug in der Hand. Warum sind die alle so friedlich?
Ich finde es zu hell hier, und ich drücke mich ein wenig unsicher an der Wand entlang, nicke so lässig wie möglich ein paar Leuten zu, die auf ihren Stühlen lümmeln, die Beine breitbeinig von sich weggestreckt, und setze mich einfach mal dazu. Man nickt mir zu, das Mädel in der Hoteluniform bringt ein weiteres Tablett mit der schwarzen Flüssigkeit, die bereitwillig hineingeschüttet wird. Immerhin rülpsen danach ein paar Jungs, machen aber ansonsten den Eindruck friedlicher Wiederkäuer. Der neben mir saugt sich geräuschvoll etwas aus den Zähnen, und ich beobachte ein Mädel, das die Hand unter ihrem T-Shirt versteckt hat und sich verstohlen den Jeansknopf öffnet. Und wenn ich mich so umschaue, dann sind die meisten schweren Jungs hier eher Ochs statt Hengst. Schade eigentlich.
Es dauert eine ganze Weile, bis einer das Schweigen bricht.
»Goil, der Hecht, echt! Ich hatt ja noch nie Hecht! Hecht ist doch Fisch oder? Dabei mag ich keinen Fisch! Eigentlich!«
»Mein Muttern hat manchmal Hecht gemacht, hab ich gehasst, die Scheiße.«
»Aber der hier … Mit Biersoße. Knaller.«
Wieder Rülpsen und Schweigen. Mir wird klar, was hier los ist. Die sind vollgefressen! Die sind so vollgefressen, dass sie sich nicht mehr rühren können.
Ich schnappe mir die Menükarte vom Tisch hinter mir. Hochzeit von Carmen und Rüdiger steht ganz oben drauf, und neben dem Hotel-zum-See-Logo ist ein Totenkopf mit brennendem Helm abgebildet, als wäre es das Normalste der Welt.
Currysüppchen mit Wurstnockerl
Chiemsee-Hecht à la bière
Wildsaufilet an Pommesjulienne rot-weiß
Mousse von der Goaßnmass
Obstlersorbet mit Minze
Chiemsee-Hecht à la bière? Dafür also war die Bestellung mit den vierzig Fischen! Woher das Hotel die jetzt wohl herbekommen hat? Ich lasse die Karte sinken, und verstehe jetzt, warum kein hungriger Rocker bei mir aufgeschlagen ist. Das ist das gehobenste Proll-Menü, von dem ich je gehört habe.
Trotzdem: Der Einstieg mag zwar etwas schleppend verlaufen, aber ansonsten finde ich meine erste Rockerparty angenehm unkompliziert. Endlich mal keine schicken Fummel anziehen, die Frage mit der Perücke hat sich total erledigt durch das Bandana, keiner schert
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