Zipfelklatscher
zu finden, muss er mir so eine bescheuerte Frage stellen. Und weil ich nicht gleich antworte, fragt er gleich noch was viel Dooferes: »Gestatten Sie, dass ich Ihnen dieses Kopftuch abnehme? Ich glaube, ich kenne Sie.«
»Hausverbot, wieso Hausverbot? Jetzt hör doch mal auf zu heulen!«
Fränzi hat saumäßig schlechte Laune, weil sich der Xaver im Hort einen Rotavirus eingefangen hat und sie wegen seinem Brechdurchfall ihre Karriere eine Woche lang auf Eis legen muss. Ich finde trotzdem, dass sie gut und gern zusätzlich ihre Zwillingsschwester vor einem Nervenzusammenbruch bewahren kann.
»Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, irgendwie hast du es darauf angelegt, entdeckt zu werden. Warum hast du dich denn sonst so blöd angestellt?«
»Aber warum? Wie kommst du denn da drauf?«
In meinem Unterbewusstsein herumzustochern, entspricht nicht ganz dem Zuspruch, den ich mir nach meiner gestrigen Blamage erwartet habe.
»Nun, weil doch eigentlich klar ist, dass du nicht ewig heimlich zum Zumsler hochschleichen kannst.«
»Warum eigentlich nicht?«
»Na ja, weil das auf Dauer kein Leben ist, so ein Doppelleben! Und wenn dieser Krug nicht draufgekommen wäre – irgendjemandem vom Personal wärst du sicher aufgefallen, wenn er die da oben jetzt alle so auf Spur gebracht hat. Oder dem Papa. Oder noch schlimmer: der Emerenz.«
»Wer sagt denn, dass die nicht inzwischen alle Bescheid wissen?«
Ich sitze auf meinem Bett, an das alte geschnitzte Betthaupt gelehnt, das Fenster offen und die Daunendecke zweimal um mich herumgeschlungen, weil es mich am Körper friert, aber mein Kopf heiß ist, viel zu heiß.
»Na, dann rede doch noch mal mit ihm!«
»Nein!«
»Doch! Sag ihm, dass es dir leid tut und dass du ihn bittest, die Klappe zu halten. Diskretion unter Kollegen, et cetera, et cetera. Kannst du ihm nicht mit den Lieferungen entgegenkommen und ihm ein gutes Angebot machen, das er nicht ablehnen kann?«
»Kann ich nicht, weil er von mir keinen Fisch mehr haben will. Hat er mir gestern gesagt, gleich nachdem er mir Hausverbot erteilt hat.«
»Rede trotzdem mit ihm. Moment …«
Aus dem Hintergrund kommt ein weinerliches »Mama?« und ziemlich unappetitliche Geräusche.
»Kotzt der Xaver?«, frage ich meine Schwester, als sie sich wieder meldet.
»Nein, ich habe ihm nur Spongebob eingelegt, das klingt so ähnlich. Er isst gerade eine Breze, und ich glaube, es geht ihm besser. Wo waren wir?«
»Dass ich unmöglich da hochgehen kann, um mit ihm zu reden.«
»Sei doch nicht so verbohrt! Peinlicher wird’s nicht.«
»Doch! Wegen dem Tätowierer! Und dem Swingerclub!«
»Versteh ich nicht. Erklären!«
»Muss ich wirklich?«
Ich verberge mein verschwitztes Gesicht auf meinen Knien, und überlege, ob es zu spät ist, die ganze Sache einfach mit mir selbst auszumachen. Am besten in einem Flieger ans andere Ende der Welt.
»Kati, rede mit mir! Schau dir von allen Insel-Eigenschaften doch nicht ausgerechnet ab, dass man nie erzählt, wie es einem wirklich geht. Wir sind moderne Frauen! Wir machen den Mund auf! Die Generation unserer Eltern, die haben das noch nicht gelernt, die haben immer noch gesagt, das geht niemanden was an. Also, noch mal: Ich bin deine Zwillingsschwester, was soll mich denn schon schockieren?«
»Na ja.«
Ich schaue aus dem Fenster, auf die Tische, die Bänke, die Obstbäume, auf den Zaun, der immer noch kaputt ist. Mein Zimmer, die feuchte Außenwand, die mehr oder weniger sorgfältig beschrifteten Ordner von der Uni, meine BWL-Lehrbücher, den Fünfzehnjahresplan an der Wand. Das Foto von meinen Eltern an der Pinnwand, beide in Tracht, die Mama mit an den Kopf geflochtenen langen blonden Haaren, in dem chiemseeblauen Dirndl, das ihr so bombig gestanden hatte, wobei mein eifersüchtiger Vater nie wollte, dass sie es im Verkauf trug, obwohl sie damit sicher den Umsatz verdoppelt hätte. Neben ihr mein Vater, Besitzerstolz im Blick, ein entrücktes Lächeln im Gesicht, und so schlank, wie er es heute wieder ist.
»Kati? Bist du noch dran? Was ist denn gestern noch passiert?«
»Ich glaube, es ist nur eskaliert, weil ich diesen Tätowierer einfach so liegen habe lassen, und das in seinem Rocker-Universum so nicht vorgesehen war. Und der sieht mich halt so stehen mit dem Herrn Krug, als wär ich beim Klauen erwischt worden und hat nichts Besseres zu tun, als sich breit daneben zu stellen und zu petzen. Er hat gesagt, das wäre ganz klar, dass ich ein fake bin, weil ich nämlich kein
Weitere Kostenlose Bücher