Zirkus zur dreizehnten Stunde
und ihrer Erschöpfung schwer. Sie wollte nicht mit Antigone sprechen. Nicht jetzt. Es war ein Gefühl in ihr, etwas Mulmiges, Nagendes.
Erst als sie den Wagen der Anführerin betraten und diese die Türe wieder hinter sich geschlossen hatte, änderte sich ihr Ausdruck ein wenig. „Was ist dir wirklich passiert?“, wollte Antigone leise wissen, während sie einige neue Kleidung für Faith herauslegte.
„Das sagte ich doch bereits.“ Faith strich sich einzelne Haare aus dem Gesicht und versuchte dem Blick der Anführerin auszuweichen. Sie begann sich gehorsam aus den Sachen zu schälen und die trockenen Sachen überzustreifen. Die Angst vor dem Tod, die Verletzungen, ein fremder Retter, ein Mensch. Himmel, das klang alles nicht nach einer besinnlichen Geschichte für Lagerfeuerabende.
„Vergiss nicht, dass ich es merke, wenn jemand nicht die ganze Wahrheit erzählt. Du verschweigst mir etwas. Also, was ist passiert?“ Antigones Stimme hatte sich nicht stark verändert. Aber diese winzigen Änderungen machten Faith klar, dass sie nicht um die ganze Geschichte herumkommen würde.
„Ich … bin in den Fluss gestürzt“, begann sie etwas zaghaft. „Ein Mann hat mich gerade noch gerettet.“
„Bisher finde ich an der Geschichte noch nichts, was dir ein schlechtes Gewissen bereiten müsste.“ Die Anführerin lehnte in der Ecke und sah auf Faith herab, die auf dem Bett saß. Es stimmte. Eigentlich war doch auch nichts geschehen, was ihr aufstoßen sollte. Trotzdem brodelte es in ihr. Etwas schien in ihr passiert zu sein, von dem sie wusste, dass Antigone es nicht billigen würde.
„Er … war sehr nett“, erklärte Faith weiter.
Antigone zog nur fragend eine Augenbraue hoch. Dann kam sie näher und nahm Faiths Kinn in die Hand. Sie zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. Einen Moment hatte sie das Gefühl, Antigone würde ihr bis auf den Grund der Seele sehen. Ihre Augen waren so tief und endlos wie nichts, was sie jemals gesehen hatte. Nichts spiegelte sich darin. Sie konnte nicht einmal sich selbst darin erkennen. Als würden diese Augen einfach alles nur in sich aufnehmen, aber nichts hervortreten lassen.
Faiths Gedanken rasten. Der Mann, den sie getroffen hatte, hatte nicht viel gesagt. Aber er war nett, unglaublich nett. Und dieses Lächeln in seinem Gesicht. Sie hatte noch nie ein Lächeln gesehen, das so echt und ehrlich wirkte. So unbefangen und freundlich. Sicher gab es auch Lachen und Freude im Zirkus, aber alles hier schien etwas gedämpft zu sein, im Vergleich zu seinem Lächeln. Die vielen Erlebnisse, die jeder in diesen Zirkus mitbrachte, trübten das Lächeln. Doch Aaron war ohne Vorbelastung. Und genau das machte ihn so anders … so interessant …
Faith legte sich aufs Bett und schlief ein. Sie wusste nicht warum, sie wusste nicht, ob Antigone ihr noch irgendwelche Fragen gestellt hatte. Plötzlich hatten sich ihre Lider gesenkt und der Schlaf war über sie gekommen.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie wieder zu sich kam.
Antigone und Viellea, die Heilerin, saßen neben ihr.
Viella war ein dürres Wesen, das selbst an jeder erdenklichen Krankheit zu leiden schien. Trotzdem besaß sie die Gabe, andere von ihren Leiden zu befreien. Sie war sehr bleich und schwach, aber wenn sie jemanden berührte, spürte dieser die unglaubliche Stärke darin. Jetzt versorgte sie gerade Faiths Wunden und lächelte ihr zu. Schweiß stand ihr auf der Stirn, sie wirkte als hätte sie Fieber und ihre Augen waren ein wenig glasig.
„Bald bist du wieder auf den Beinen“, sagte das Mädchen mit einer sanften und freundlichen Stimme. Der Augenblick war seltsam. Faith hatte sich schon häufiger von Viella versorgen lassen. Aber heute schien alles verkehrt zu sein. Der Unfall, die Rettung, der junge Mann … Aaron. Sein Name hallte in ihrem Kopf wider. Er hatte sie auch untersuchen wollen. Zumindest hatte er sie besorgt angesehen. Sie hätte ihm doch vertrauen können, oder nicht?
Nein, man vertraute nur denen im Zirkus. Viella! Sie war die Heilerin, sie wusste, was zu tun war.
„Danke, Viella“, Antigone legte ihr die Hand auf die Schulter und unterbrach Faiths Gedanken. „Das sollte reichen. Ruh dich nun aus.“
Viella nickte und stand auf. Sie verließ etwas schwankend den Wagen und schloss hinter sich wieder die Tür.
Faith war verwirrt. Hatte sie eine Standpauke bekommen? Hatten sie noch weiter über Aaron geredet? Ihre Erinnerungen ließen nach. Sie wusste nicht mehr, über was
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