Zirkus zur dreizehnten Stunde
sehen.
Antigone folgte dem Faden, der sich durch die Nacht zog. Dann plötzlich ein lautes Klirren.
Ihre Schritte beschleunigten sich.
Der Mond trat immer wieder hervor. Warf sein Licht auf die Hüterin, auf die Umgebung. Auf den Faden …
Er wurde rot.
Was geschah hier nur?
Ein Schrei, ein gurgelnder Laut.
Schneller!
Der Faden zerriss …
Sie erreichte den Punkt. Unten am Fluss. Ein dumpfer Laut erklang und ein Körper fiel zu Boden.
„Deine Herrschaft ist zu Ende“, fauchte eine weibliche Stimme.
„Reiko!“ Antigone war wie vom Donner gerührt. Vor ihr sah sie zwei Mitglieder aus dem Zirkus. Die Trapezkünstler Shin und Reiko. Sie waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht, doch hatten sie sich immer verstanden. Sie hatten sich bei der Show gegenseitig ihr Leben anvertraut.
Nun stand Reiko über dem blutenden Körper von Shin. Ihre langen Nägel trieften von dem roten Saft.
Was war nur in die beiden gefahren?
„Das Chaos, mein Lieber“, Reiko beugte sich zu ihm herab, „gewinnt immer!“ Ein abfälliger Laut erklang. Sie trat auf die Leiche und stieß sie in den Fluss.
„Nein!“, keuchte Antigone.
Reiko drehte sich um. Sie erblickte die Hüterin, grinste jedoch nur abfällig. Mit einer gelassenen Geste breitete sie die Arme aus und sprang in die Nacht.
Der Körper von Shin war in den Fluten versunken. Der Faden hatte sich aufgelöst. Antigone war fassungslos. Zwei Tote in einer Nacht.
Was geschah hier nur?
„Hilf …“, ein Krächzen erklang. „Hilf …“
Antigone wirbelte herum. Erst sah sie nichts. Dann erkannte sie einen Schemen. Die Gestalt eines Kindes, das vor ihr kniete. Lange Haare bedeckten den Boden. Die Augen waren nach unten gerichtet. Dann, langsam sah Clotho zu ihr auf. Ein grausames Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen, entblößte ihre Zähne ließ ihre Augen funkeln.
„Hilf … uns …“
13. I – Der Magier
Niedere Höllen. Orte der Klagen und der Furcht. Die Toten wanden sich in ihren Qualen, griffen nach einem Licht, das sie nicht erreichen konnten, riefen nach jenen, die sie nicht hören konnten. Überall traf man auf verdammte Überreste, von Menschen und Wesen. Jenen, die es nicht schafften im inneren Zirkel aufzusteigen.
Es war die Gosse der Hölle durch die sich der Besucher gerade schleppte. Ein tiefer Atemzug. Die Luft strömte in seine Lungen, breitete sich aus und erhielt seinen Körper am Leben.
Die Wunden schmerzten. Doch er ging weiter, geführt von der schmalen Frauengestalt vor ihm. Sie hielt nicht an, sah sich nicht um. Wozu auch? Sie war hier zu Hause. Hier hingen nur die ewig verdammten Seelen, die sie geerntet hatte.
Weiter hinten, ein Durchgang. Sie gingen darauf zu. Hände streckten sich nach ihnen. Blutüberströmt, verstümmelt. Seine Führerin griff nach einer von ihnen. Sie lächelte. Ein Lächeln, das töten konnte. Ganz sanft hielt sie die Hand einen Augenblick. Ihre Finger strichen darüber. Ein freudiges Seufzen erklang. Dann packte sie zu, umschloss einen der Finger mit ihrer anderen Hand und riss ihn ruckartig nach hinten.
Ein Schrei wie von einem Tier, das abgeschlachtet wurde. Der Mann krümmte sich, wand sich und versuchte, wieder wegzukriechen.
Weiter zur Stadt am Ende dieser Folter. Dunkel und gewaltig schoben sich ihre immer spitzer zulaufenden Türme in den Himmel, deren Krallen den Himmel zu zerreißen drohten. Das Tor zu dieser Stadt öffnete sich einfach.
Überall zischte und fauchte es. Ein Huschen war zu spüren, doch er konnte nichts erkennen.
Die Straßen verzweigten sich, führten zum Zentrum und von dort wieder weg. Sie bildeten ein Labyrinth, dessen Wege sich nicht jedem eröffneten. Stöhnen und Raunen lagen in der Luft. Waren es Schmerzensschreie? Ein Hauchen, das von Langeweile kündete? Oder das Atmen von etwas, das noch schlief und nur darauf wartete, erweckt zu werden? Die Geräusche vermischten sich, ballten sich zusammen und schwollen zu einem Crescendo an, nur um danach wieder abzuklingen und in der Finsternis unterzugehen. Wie ein unsichtbarer Verfolger, der seinem Opfer mit Blicken auf Schritt und Tritt nachschlich. Die Stadtmauer tauchte erneut auf. Ein Tor führte hinaus. Doch sie nahmen es nicht. Die Frau ging in eines der Gebäude. Hinter ihnen fiel die Tür zu. Ein Rumoren erklang.
Die Dunkelheit wurde fast greifbar. Die Luft war schwer, vollgesogen mit Wasser und einem bestialischen Geruch. Eine Kanalisation? Sie ging weiter; einige Schritte, dann stoppte sie abrupt.
Er hörte, wie
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