Zirkus zur dreizehnten Stunde
schien kein Ende zu nehmen. Auch im Zirkus war alles verlassen. Zu dieser Zeit kein Wunder. Faith ging weiter, sah in die Verkaufsstände, sah sich alles genau an. Neben ihr nach wie vor der Faden.
Was machte dieses seltsame Ding hier nur? Wurde sie verrückt? Der Zirkus verschwand, alle lösten sich in Luft auf und sie lief einer Spinnwebe hinterher. Verwirrt schüttelte sie den Kopf.
Am Rand des gewaltigen Areals erhob sich ein einzelnes kleines Zelt, dessen Stoffbahnen ausgebleicht und zerschlissen waren. Es war über und über mit … Spinnweben bedeckt.
Immer diese Spinnweben!
Der Wind verfing sich in einem kleinen Windspiel, das ein sanftes Klingen ertönen ließ. Faith schlug vorsichtig die Eingangsplane zur Seite und trat ein. Der Innenraum schien deutlich größer als es von außen den Anschein hatte.
Rauch erschwerte die Sicht ein wenig. Auch hier war alles mit Spinnweben versehen. Faith verdrehte innerlich die Augen und wischte die Fäden ein wenig zur Seite. Es erklang ein reißendes Geräusch, das so durchdringend und bestimmend war, dass es fast unrealistisch wirkte. Es jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sofort streifte sie die Reste von ihren Fingern.
Einige Kerzen brannten vor ihr und gaben einen sanften Schimmer ab. Faith sah auf die kniende Gestalt am Boden. Kismet saß vor ihr, das Haar fiel ihr wie ein dunkler Umhang von den Schultern. Die Seherin legte einige Kräuter auf eine glühende Kohle und eine neuerliche Nebelschwade stieg in die Luft.
„So findest du deinen Weg.“ Kismet sah in den Rauch, hob den Blick nicht einmal um Faith zu begrüßen.
„Seherin, was ist hier geschehen?“ Allmählich wurde das alles wirklich unheimlich.
„Du kommst zu mir …“ nun sah Kismet doch auf, „um mich nach der Vergangenheit zu befragen?“ Die Augen blickten wie aus einem tiefen Nebel, schienen sie trotz ihrer Blindheit zu mustern. Langsam senkte sie wieder den Blick, und holte nach und nach ein paar Fläschchen aus ihren Ärmeln. „Ist es nicht üblich, dass man nach … der Zukunft fragt?“
„Ist es nicht üblich, dass du Mitgliedern des Zirkus die Weissagung der Zukunft versagst?“, fragte Faith im Gegenzug.
„Durchaus, mein Kind.“ Ein Lächeln erschien auf Kismets Gesicht.
„Aber was vergangen ist, kannst du erzählen?“, hakte Faith nach.
„Es spricht nichts dagegen.“
„Dann sag mir“, Faith ließ sich hinabsinken, um der Frau besser ins Gesicht sehen zu können. „Was ist hier geschehen? Wohin sind alle verschwunden?“
„Sie“, der Blick von Kismet richtete sich wieder nach oben, „sind immer noch im Zirkus.“
„Aber …“, Faith schüttelte verwirrt den Kopf, „wo sind sie? Warum ist keiner hier? Ich bin doch auch im Zirkus.“
„Du“, die Augen der Seherin wurden groß und starrten Faith direkt an, „bist nicht im Zirkus. Du bist auf der Suche.“
„Suche?“ Faith wich zurück. Kismets Anblick ließ ihr Schauer über den Rücken laufen. Sie wusste nicht, wer von ihnen beiden verrückt war.
Die Seherin sagte nichts, sondern deutete auf einen dünnen Faden, der im Licht sanft glitzerte. Schon wieder dieser Faden? Konnte das denn wahr sein? Auf der anderen Seite des kleinen Raumes kam er direkt aus dem Stoff. Er fing dort nicht an, er schien einfach hindurchzulaufen. Ihr Blick folgte ihm. Er führte zurück zum Ausgang, wieder nach draußen. Als sie zurücksah, war die Seherin verschwunden.
„Kismet?“ Verstört sah Faith sich um. Es kam keine Antwort. Sie schien alleine. Schließlich ging sie wieder nach draußen. Der Faden kam tatsächlich an der Rückseite des Zeltes wieder hervor und verlor sich in der Nacht. Ebenso in die andere Richtung. Ein Ende war nicht zu sehen.
Das durfte doch alles nicht wahr sein. Sicher träumte sie doch nur! Aber es fühlte sich viel zu real für einen Traum an. Faith fluchte unterdrückt.
Kurz überlegte sie und folgte dem sanften Schimmer. Der Weg führte sie zurück zum Zirkus, vorbei an den vielen Ständen, direkt zum Eingang. Der Faden zog sich weiter. Faith folgte ihm und erreichte schließlich die Hauptstraße. Immer noch war das Ende nicht abzusehen, jedoch die Richtung, in die er wies. London.
Ein Seufzen entglitt Faith. Sie hatte fast damit gerechnet. Doch welche Wahl hatte sie? Ihre Leute waren verschwunden, alles schien wie leergefegt. Wenn sie wieder zu Ihresgleichen zurückwollte, musste sie diesen Weg beschreiten.
Es schien als würde die Zeit stillstehen. Der Mond schien sich nicht zu
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