Zirkuskind
Badezimmer zu holen, nachdem sie beschlossen hatte,
ihn bei ihren Toilettensachen zu lassen. Der Himmel mochte wissen, was das englische
Ehepaar dem Inspektor erzählt hatte. Bestimmt hatten sie ihm Nancy als ordinäre
junge Frau geschildert, die einen gewaltigen Penis schwang.
Nancy gab Inspektor
Patel den Dildo und setzte sich wieder ans Fußende ihres Bettes. Der junge Polizist
reichte das Gerät höflich zurück, ohne sie anzusehen.
»Tut mir leid, aber
ich mußte das Ding sehen«, sagte er. »Ich hatte gewisse Schwierigkeiten, es mir
vorzustellen«, erklärte er.
»Beide Fahrer haben
ihr Geld am Flughafen bekommen«, berichtete Nancy. »Und ich lasse mich nun mal nicht
gern übers Ohr hauen«, fügte sie hinzu.
»Dieses Land ist
nicht ganz unproblematisch für eine allein reisende Frau«, bemerkte der Inspektor.
Der rasche Blick, den er ihr zuwarf, verriet ihr, daß das eine Frage war.
»Ich treffe mich
mit Freunden«, sagte Nancy. »Ich warte nur auf ihren Anruf.« (Dieter hatte ihr geraten,
das zu sagen, denn jedem, der sich ihre Studentenklamotten und ihre billigen [337] Taschen
ansah, würde klar sein, daß sie sich nicht viele Übernachtungen im Taj Mahal leisten
konnte.)
»Werden Sie dann
mit ihren Freunden weiterreisen oder in Bombay bleiben?« fragte der Inspektor.
Nancy erkannte ihren
Vorteil. Solange sie den Dildo in der Hand hielt, würde es dem jungen Polizisten
unangenehm sein, ihr in die Augen zu schauen.
»Ich werde das tun,
was sie tun«, sagte sie gleichgültig. Sie hielt den Penis im Schoß; dann entdeckte
sie, daß sie mit einer winzigen Bewegung des Handgelenks die beschnittene Spitze
an ihr nacktes Knie schlagen lassen konnte. Doch offenbar war Inspektor Patel von
ihren nackten Füßen fasziniert. Vielleicht lag es daran, daß sie unglaublich weiß
waren, vielleicht auch an ihrer unglaublichen Größe – Nancys bloße Füße waren größer
als die kleinen Schuhe des Inspektors.
Nancy betrachtete
ihn erbarmungslos. Ihr gefielen die vorstehenden Knochen in seinem kantig geschnittenen
Gesicht. Sie hätte sich dieses Gesicht unmöglich – und sei es zwanzig Jahre später
– mit Hängebacken vorstellen können. Sie bildete sich ein, noch nie so schwarze
Augen und so lange Wimpern gesehen zu haben.
Den Blick noch immer
starr auf Nancys Füße gerichtet, sagte Inspektor Patel hilflos: »Ich nehme an, es
gibt keine Telefonnummer oder Adresse, unter der ich Sie erreichen könnte.«
Nancy glaubte genau
zu wissen, was sie zu ihm hinzog. Sie hatte ihre Unschuld in Wirklichkeit in Deutschland
verloren, mit Dieter. Gewiß hatte sie sich große Mühe gegeben, sie in Iowa zu verlieren,
aber die Footballspieler hatten ihre Unschuld im Grunde nicht angetastet. Jetzt
war sie endgültig verloren. Und hier war ein Mann, der noch unschuldig war. Wahrscheinlich
wirkte sie auf ihn ebenso abschreckend wie anziehend – falls er es überhaupt merkte,
dachte Nancy.
»Möchten Sie mich
wiedersehen?« fragte sie ihn. Sie hielt die [338] Frage für ausreichend zweideutig,
aber er starrte nur auf ihre Füße – voller Sehnsucht und Entsetzen, wie sie sich
einbildete.
»Aber Sie könnten
die zwei anderen Männer wohl auch nicht identifizieren, selbst wenn wir sie finden
würden«, sagte Inspektor Patel.
»Ich könnte den
anderen Taxifahrer identifizieren«, meinte Nancy.
»Den haben wir schon«,
teilte ihr der Inspektor mit.
Nancy stand vom
Bett auf und brachte den Dildo ins Bad. Als sie zurückkam, stand Inspektor Patel
am Fenster und beobachtete die Bettler. Sie wollte ihm gegenüber nicht mehr im Vorteil
sein. Vielleicht bildete sie sich ein, daß sich der Inspektor hoffnungslos in sie
verliebt hatte und daß er sie, wenn sie ihn aufs Bett stoßen und sich auf ihn stürzen
würde, verehren und auf ewig ihr Sklave sein würde. Vielleicht wollte sie eigentlich
gar nicht ihn als Person, sondern nur seine offensichtliche Anständigkeit, und die
auch nur, weil sie das Gefühl hatte, ihren guten Kern weggegeben zu haben und ihn
nie mehr zurückzubekommen.
Dann fiel ihr auf,
daß er sich nicht mehr für ihre Füße interessierte, sondern inzwischen aufmerksam
ihre Hände betrachtete. Obwohl sie den Dildo weggesteckt hatte, wollte er ihr nicht
in die Augen sehen.
»Wollen Sie mich
wiedersehen?« wiederholte Nancy. Diesmal war ihre Frage nicht zweideutig. Sie stand
näher bei ihm als nötig, doch er überhörte die Frage und deutete auf die Kinder
unten auf der Straße.
»Immer
Weitere Kostenlose Bücher