Zirkuskind
und als
man ihr das Tablett brachte, steckten zwischen dem Orangensaft und dem Tee zwei
verschlossene Kuverts. Ihr Herz machte einen Satz, weil sie hoffte, Inspektor Patel
würde ihr seine ewige Liebe erklären. Aber das eine war die Nachricht von Dieter,
die der Inspektor abgefangen hatte und die lediglich besagte, daß Dieter angerufen
hatte. Er sei froh, daß sie gut angekommen sei, und er würde sie bald sehen. Das
andere war ein gedrucktes Schreiben von der Hotelleitung mit der Bitte, man möge
es freundlicherweise unterlassen, Sachen aus dem Fenster zu werfen.
Nancy war ausgehungert,
und sobald sie ihr Frühstück beendet hatte, wurde sie müde. Sie zog die Vorhänge
zu, um das [344] Tageslicht auszusperren, und schaltete den Deckenventilator auf die
höchste Stufe. Eine Zeitlang lag sie wach da und dachte an Inspektor Patel. Sie
stellte sich sogar vor, daß Dieter mit dem Geld geschnappt werden würde, sobald
er den Zoll zu passieren versuchte. Nancy war noch immer so naiv zu glauben, daß
die D-Mark in Dieters Gepäck ins Land kommen würden. Auf die Idee, daß sie das Geld
bereits nach Indien gebracht hatte, war sie überhaupt noch nicht gekommen.
Der ahnungslose Kurier
Es kam
ihr vor, als hätte sie tagelang geschlafen. Als sie aufwachte, war es dunkel. Sie
würde nie erfahren, ob es die frühmorgendliche Dunkelheit des nächsten oder des
übernächsten Tages war. Sie wachte von irgendeinem Lärm auf dem Gang vor ihrem Zimmer
auf. Jemand versuchte, in ihr Zimmer zu gelangen, aber sie hatte die Tür zweimal
abgesperrt und mit der Sicherheitskette verriegelt. Sie stieg aus dem Bett. Draußen
im Gang stand Dieter. Er war sauer auf den Gepäckträger und schickte ihn ohne ein
Trinkgeld weg. Sobald er im Zimmer war, aber erst nachdem er die Tür zweimal zugesperrt
und die Sicherheitskette wieder eingehakt hatte, drehte er sich zu ihr um und fragte
sie, wo der Dildo sei. Das war nicht gerade galant, fand Nancy, aber in ihrem verschlafenen
Zustand ging sie davon aus, daß es lediglich seine aggressive Art war, ihr seine
Verliebtheit zu zeigen. Sie deutete ins Bad.
Dann schlug sie
den Bademantel auf, ließ ihn von den Schultern gleiten und zu Boden fallen. Sie
stand unter der Badezimmertür, erwartete, daß er sie küßte oder zumindest ansah.
Aber Dieter hielt den Dildo über das Waschbecken; wie es aussah, erhitzte er die
Spitze des künstlichen Penis mit seinem Taschenfeuerzeug. Schlagartig war Nancy
hellwach. Sie hob ihren [345] Bademantel auf, zog ihn wieder an und trat dann gerade
so weit von der Badezimmertür zurück, daß sie Dieter noch beobachten konnte. Er
achtete sorgfältig darauf, daß die Flamme den Dildo nicht schwärzte, und ließ die
Hitze nicht auf die Spitze einwirken, sondern auf die Stelle, an der sich die falsche
Vorhaut einrollte. Nancy kam es vor, als würde er den Dildo langsam schmelzen; dann
wurde ihr klar, daß irgendein wachsähnliches Zeug ins Waschbecken tropfte. Dort,
wo sich die falsche Vorhaut zusammenrollte, kam eine dünne Linie zum Vorschein,
die um die Spitze herumführte. Sobald Dieter den wächsernen Verschluß weggeschmolzen
hatte, hielt er das Ende des großen Penis unter kaltes Wasser und packte dann die
beschnittene Spitze mit einem Handtuch. Er brauchte ziemlich viel Kraft, um den
Dildo aufzuschrauben, der, wie Inspektor Patel festgestellt hatte, hohl war. Die
Wachsversiegelung hatte verhindert, daß Luft entwich. Deshalb hatte es auch keine
Bläschen unter Wasser gegeben. Inspektor Patel hatte zur Hälfte recht gehabt. Er
hatte an der richtigen Stelle gesucht, aber nicht auf die richtige Art – der Irrtum
eines jungen Polizeibeamten.
Im Innern des Dildo,
fest zusammengerollt, befanden sich mehrere tausend Mark. Für die Rückfahrt nach
Deutschland ließ sich ziemlich viel hochwertiges Haschisch fest zusammengepreßt
in einen so großen Dildo packen, und die Wachsversiegelung würde verhindern, daß
die Hunde beim deutschen Zoll das indische Haschisch rochen.
Nancy saß am Fußende
des Bettes, während Dieter eine Rolle Geldscheine aus dem Dildo zog, auf einer Hand
ausbreitete und glattstrich. Dann steckte er sie unter den Reißverschluß eines Geldgürtels,
den er unter dem Hemd um die Taille trug. Den Dildo, in dem noch mehrere ansehnliche
Geldscheinrollen steckten, setzte er wieder zusammen. Er schraubte die Spitze fest
zu, ohne sich jedoch die Mühe zu machen, sie erneut mit Wachs zu versiegeln. Die
Linie an der Stelle, wo sich das Ding [346]
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