Zirkuskind
dieselben
Kunststückchen. Sie machen nie was anderes«, bemerkte Inspektor Patel. Nancy warf
keinen Blick zu den Bettelkindern hinunter, sondern starrte weiterhin Inspektor
Patel an.
»Sie könnten mir
Ihre Telefonnummer geben«, sagte sie. »Dann könnte ich Sie anrufen.«
[339] »Aber warum sollten
Sie das tun?« fragte der Inspektor, der nach wie vor die Kinder beobachtete. Nancy
wandte sich von ihm ab und legte sich der Länge nach aufs Bett. Sie lag auf dem
Bauch, hatte den Bademantel fest um sich geschlungen und dachte an ihr blondes Haar.
Es sieht sicher hübsch aus, so auf dem Kissen ausgebreitet, überlegte sie, wußte
aber nicht, ob Inspektor Patel sie auch ansah. Sie wußte nur, daß die Kissen ihre
Stimme dämpfen würden und daß er näher ans Bett herankommen müßte, um sie zu verstehen.
»Was ist, wenn ich
Sie brauche?« fragte sie ihn. »Was ist, wenn ich Schwierigkeiten bekomme und die
Polizei brauche?«
»Der junge Mann
wurde erdrosselt«, eröffnete ihr Inspektor Patel. Der Klang seiner Stimme verriet
ihr, daß er in ihrer Nähe stand.
Nancy ließ ihr Gesicht
in den Kissen vergraben, streckte aber beide Hände zu den Bettkanten hin aus. Sie
hatte schon geglaubt, sie würde überhaupt nichts über den toten Jungen erfahren,
nicht einmal, ob er aus Gemeinheit und Haß oder unabsichtlich umgebracht worden
war. Jetzt wußte sie es, denn unabsichtlich konnte der junge Mann schlecht erwürgt
worden sein.
»Ich habe ihn nicht erwürgt.«
»Das weiß ich«,
sagte Inspektor Patel. Als er Nancys Hand berührte, blieb sie vollkommen reglos
liegen. Dann zog er seine Hand weg, und eine Sekunde später hörte sie ihn im Bad.
Es hörte sich an, als ließe er die Badewanne einlaufen.
»Sie haben große
Hände«, rief er ins Zimmer. Sie bewegte sich nicht. »Der Junge ist von jemandem
mit kleinen Händen erwürgt worden. Wahrscheinlich von einem anderen Jungen, vielleicht
aber auch von einer Frau.«
»Sie haben mich
verdächtigt«, sagte Nancy, konnte allerdings nicht feststellen, ob er sie trotz
des laufenden Badewassers hören konnte. »Ich sagte, Sie haben mich verdächtigt –
bis Sie meine Hände gesehen haben«, rief Nancy.
[340] Er drehte das
Wasser ab. Die Wanne konnte nicht sehr voll sein, dachte Nancy.
»Ich verdächtige
jeden«, sagte Inspektor Patel, »aber Sie hatte ich eigentlich nicht in Verdacht,
den Jungen erwürgt zu haben.«
Nancy konnte ihre
Neugier nicht länger bezähmen. Sie erhob sich vom Bett und ging ins Bad. Inspektor
Patel saß auf dem Rand der Badewanne und betrachtete den Dildo, der wie ein Spielzeugschiffchen
im Wasser umherschwamm.
»Genau wie ich mir
gedacht habe. Er schwimmt«, sagte er. Dann tauchte er ihn unter und hielt ihn fast
eine Minute lang unter Wasser, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Keine Blasen«,
sagte er. »Er schwimmt, weil er hohl ist«, erklärte er ihr. »Aber wenn er sich auseinandernehmen
ließe, wenn man ihn aufmachen könnte, gäbe es Blasen. Ich dachte, er würde aufgehen.«
Er ließ Wasser ablaufen und trocknete den Dildo mit einem Handtuch ab. »Einer Ihrer
Freunde hat angerufen, während Sie Ihre Anmeldung ausgefüllt haben«, teilte Inspektor
Patel Nancy mit. »Er wollte nicht mit Ihnen reden, sondern nur hören, ob Sie im
Hotel eingetroffen sind.« Nancy stand breit in der Badezimmertür, und der Inspektor
wartete ab, bis sie den Weg freigab. »Das bedeutet normalerweise, daß jemand wissen
möchte, ob Sie gut durch den Zoll gekommen sind. Deshalb dachte ich, Sie hätten
etwas hereingeschmuggelt. Aber das haben Sie nicht, oder?« sagte Inspektor Patel.
»Nein«, brachte
Nancy mit Mühe hervor.
»Alsdann, wenn ich
gehe, sage ich unten Bescheid, daß man Ihnen Ihre Nachrichten direkt zukommen läßt«,
sagte der Inspektor.
»Danke«, sagte Nancy.
Er hatte bereits
die Tür zum Gang aufgemacht, bevor er ihr seine Visitenkarte gab. »Und rufen Sie
mich auch wirklich an, wenn Sie in Schwierigkeiten sind«, sagte er. Wortlos starrte
sie auf die Karte; das war besser, als ihn gehen zu sehen. Da standen [341] mehrere
gedruckte Telefonnummern, eine mit Kugelschreiber eingekringelt, und sein Name samt
Titel.
VIJAY PATEL
POLIZEIINSPEKTOR
POLIZEIWACHE COLABA
Nancy
wußte nicht, wie weit Vijay Patel von zu Hause entfernt war. Als seine gesamte Familie
Gujarat verlassen hatte, um nach Kenia auszuwandern, war Vijay nach Bombay gezogen.
Daß er es als Gujarati bei einer Polizeitruppe in Maharashtra zu etwas gebracht
hatte, war eine
Weitere Kostenlose Bücher