Zirkuskind
Angriff
mittels heißen Tees« lautete denn auch die Begründung für Mr. Sethnas Entlassung.
Doch bekam der Butler von Dr. Daruwallas Vater, in dessen Augen der Vorfall eine
Heldentat war, die denkbar besten Empfehlungen, dank derer er umgehend vom Duckworth
Club eingestellt wurde. Die verunglimpfte junge Dame war über jeden Tadel erhaben;
Mr. Sethna hatte ihre in Zweifel gezogene Tugendhaftigkeit also völlig zu Recht
verteidigt. Der Butler war ein so fanatischer Anhänger der Lehre Zarathustras, daß
Farrokhs Vater mit seiner Vorliebe für überspitzte Formulierungen behauptet hatte,
Mr. Sethna sei ein Parse, der ganz Persien auf seinen Schultern trage.
Auf jeden, der unter
Mr. Sethnas mißbilligendem Stirnrunzeln im Speisesaal des Duckworth Club oder im
Ladies’ Garden zu leiden hatte, machte der Butler den Eindruck, als würde er gern
jedermann heißen Tee über den Kopf gießen. Er war groß und extrem hager, als mißbilligte
er prinzipiell jede Nahrungsaufnahme, und seine hochmütige Hakennase sah aus, als
mißbilligte er auch den Geruch von allem und jedem. Zudem war der alte Butler so
hellhäutig – die meisten Parsen sind hellhäutiger als die meisten anderen Inder –, daß man ihm auch Mißbilligung aus rassischen Gründen unterstellte.
Im Augenblick galt
seine Mißbilligung dem Durcheinander [48] auf dem Golfplatz. Seine Lippen waren dünn
und verkniffen, und er hatte das schmale, vorspringende Kinn einer Ziege mit dem
entsprechenden Bartbüschel. Er mißbilligte jeglichen Sport und machte keinerlei
Hehl aus seiner Abneigung gegen die Vermischung von sportlicher Betätigung und würdevolleren
Beschäftigungen wie kultiviertem Essen und scharfsinnigen Diskussionen.
Jetzt herrschte
heller Aufruhr auf dem Golfplatz. Männer rannten halbnackt aus dem Umkleideraum
– als hätten sie in ihrer Sportbekleidung (wenn sie komplett angezogen waren) nicht
schon abscheulich genug ausgesehen, dachte Mr. Sethna. Als Parse hielt Mr. Sethna
die Gerechtigkeit sehr hoch, und er fand es geradezu unmoralisch, wenn sich etwas
so Ernstes und Endgültiges wie ein Todesfall an einem so irritierend trivialen Ort
wie einem Golfplatz ereignete. Als gläubiger Mensch, dessen nackter Körper eines
nicht mehr fernen Tages in den Türmen des Schweigens liegen würde, empfand der alte
Butler die Anwesenheit so vieler Geier als zutiefst bewegend. Er zog es daher vor,
sie zu ignorieren und seine Aufmerksamkeit – und seine Verachtung – dem menschlichen
Getümmel zuzuwenden. Jemand hatte den schwachsinnigen Obergärtner herbeigerufen,
der jetzt mit seinem ratternden Gefährt hirnlos über den Golfplatz fuhr und dabei
das Gras ausrupfte, das die Hilfsgärtner erst kürzlich mit der Walze geglättet hatten.
Da sich Inspector
Dhar tief im Bougainvilleengesträuch befand, konnte Mr. Sethna ihn zwar nicht sehen,
zweifelte aber nicht daran, daß der vulgäre Filmstar irgendwo mitten in diesem Schlamassel
steckte. Bei dem bloßen Gedanken an Inspector Dhar seufzte Mr. Sethna mißbilligend.
Da ertönte das helle
Klingen einer Gabel an einem Wasserglas – eine unfeine Art, den Kellner zu rufen,
wie Mr. Sethna fand. Als er sich dem Anstoß erregenden Tisch zuwandte, stellte er
fest, daß nicht etwa der Kellner, sondern er selbst von der [49] neuen Mrs. Dogar
herbeizitiert wurde. Je nachdem, ob man mit ihr redete oder hinter ihrem Rücken
über sie sprach, hieß sie die schöne Mrs. Dogar oder die zweite Mrs. Dogar. Mr.
Sethna fand sie nicht besonders schön, und daß er zweite Ehen mißbilligte, verstand
sich von selbst.
Außerdem war man
sich (unter den Clubmitgliedern) einig, daß Mrs. Dogars Schönheit eher grobschlächtiger
Art und zudem im Laufe der Jahre verblichen war. Keine noch so großen Geldmengen
aus Mr. Dogars Tasche vermochten den schauerlichen Geschmack seiner neuen Frau zu
verbessern. Kein noch so durchtrainierter Körper – ein Ziel, dem die zweite Mrs.
Dogar angeblich im Übermaß huldigte – konnte selbst einen oberflächlichen Betrachter
darüber hinwegtäuschen, daß sie mindestens zweiundvierzig war. Mr. Sethnas kritischer
Blick sagte ihm, daß sie bereits auf die Fünfzig zuging (wenn nicht darüber hinaus);
zudem war sie seiner Ansicht nach viel zu groß. Und so manch golfbegeisterter Duckworthianer
nahm Anstoß an ihrer unverhohlenen, unsensiblen Meinung, Golf zu spielen sei für
jemanden, der sich gesund erhalten wolle, eine unzureichende körperliche Betätigung.
An diesem Tag speiste
Mrs. Dogar
Weitere Kostenlose Bücher