Zirkuskind
den räuberischen Wesen der Nacht ausgesetzt.
Rahul war selbst
aus Raubgier gekommen. Er hatte von Dr. Daruwallas unschuldigen Töchtern erfahren,
daß John D. normalerweise in der Hängematte auf dem Balkon schlief, und war auf
den Balkon geklettert, um ihn zu verführen. Aus rein sexueller Neugier mag man darüber
spekulieren, ob die Verführungsversuche des schönen jungen Mannes Erfolg gehabt
hätten, aber diese Prüfung blieb John D. erspart, da in jener ereignisreichen Nacht
Dr. Daruwalla in der Hängematte schlief.
Der unter dem Moskitonetz
schlummernde Körper duftete ohne Zweifel begehrenswert. Rahul, ohnehin schon blind
vor [390] Begierde, ließ sich von der Dunkelheit irreführen. Mag sein, daß ihm das
Mondlicht einen Streich bei der Hautfarbe spielte, und vielleicht lag es auch am
Mondlicht, daß er den Eindruck gewann, John D. habe sich einen kleinen Bart stehen
lassen. Die Zehen des aus der Hängematte ragenden Fußes waren winzig und ohne Härchen,
und der ganze Fuß war so zierlich wie der eines kleinen Mädchens. Rahul stellte
fest, daß der Fußballen hinreißend weich und fleischig war und die Fußsohle beinahe
unanständig rosafarben – im Gegensatz zu der geschmeidigen, braunen Fessel.
Er kniete sich neben
den zierlichen Fuß des Doktors, streichelte ihn mit seiner großen Hand und ließ
seine Wange über die frisch duftenden Zehen streifen. Natürlich hätte es ihn verblüfft,
wenn Dr. Daruwalla aufgeschrien hätte: »Aber ich will kein Wunder sein!«
Der Doktor träumte,
er sei der heilige Franz Xaver, den man ausgegraben und gegen seinen Willen in die
Basilika de Bom Jesus in Goa überführt hatte. Genauer gesagt, träumte er, daß er
der auf wundersame Weise erhalten gebliebene Leichnam des heiligen Franz Xaver sei,
mit dem alles mögliche angestellt wurde – ebenfalls gegen seinen Willen. Doch obwohl
Farrokh im Traum Schreckliches widerfuhr, konnte er seine Ängste nicht artikulieren.
Das viele Essen und der Wein hatten ihn derart sediert, daß er wohl oder übel schweigend
leiden mußte – obwohl er voraussah, daß in Bälde eine verrückte Pilgerin seine Zehe
verspeisen würde. Schließlich kannte er die Geschichte.
Rahul leckte mit
der Zunge über die duftende Fußsohle des Doktors, die kräftig nach Cuticura-Puder
und leicht nach Knoblauch schmeckte. Da Dr. Daruwallas rechter Fuß der einzige nicht
vom Moskitonetz geschützte Körperteil war, konnte Rahul die ungeheure Anziehungskraft,
die der köstliche John D. auf ihn ausübte, nur dadurch bekunden, daß er dessen große
Zehe in seinen warmen Mund nahm und so heftig daran saugte, daß Dr. [391] Daruwalla
stöhnte. Anfangs kämpfte Rahul noch gegen den Wunsch an hineinzubeißen, aber schließlich
gab er seinem Drang nach und bohrte seine Zähne langsam in die sich krümmende Zehe.
Dann widerstand er erneut dem zwanghaften Drang zuzubeißen, wurde wieder schwach
und biß beim nächstenmal fester zu. Es war eine Qual für Rahul, sich zu beherrschen,
um nicht zu weit zu gehen – und Dr. Daruwalla ganz oder häppchenweise zu verschlingen.
Als er den Fuß endlich losließ, rangen beide, Rahul und Dr. Daruwalla, nach Luft.
In seinem Traum war der Doktor überzeugt, daß die glaubensfanatische Frau das Unheil
bereits angerichtet hatte. Sie hatte seine Zehe, diese heilige Reliquie, abgebissen,
so daß sein wunderbarer Leib jetzt tragischerweise nicht mehr so vollständig war,
wie man ihn dereinst begraben hatte.
Als Rahul sich entkleidete,
entzog Dr. Daruwalla dieser gefährlichen Welt seinen verstümmelten Fuß. Er rollte
sich in seiner Hängematte unter dem Moskitonetz zusammen, weil er im Traum befürchtete,
daß die Sendboten des Vatikans bereits anrückten, um ihm einen Arm abzuschneiden
und ihn nach Rom zu bringen. Während Farrokh sich damit abquälte, seiner panischen
Angst vor der Amputation irgendwie Ausdruck zu verleihen, versuchte Rahul, in die
Geheimnisse des Moskitonetzes einzudringen.
Rahul hielt es für
das beste, wenn John D. mit dem Gesicht zwischen seinen, Rahuls, Brüsten aufwachte,
denn diese Kunstwerke gehörten mit Sicherheit zu Rahuls schönsten Merkmalen. Andererseits
hätte vielleicht auch eine verwegenere Art der Annäherung Erfolg, da die ausgefallene
Idee, an seiner großen Zehe zu saugen und hineinzubeißen, den jungen Mann ganz offensichtlich
erregt hatte. Rahul empfand es als frustrierend, daß überhaupt keine Annäherung
möglich war, solange er das ärgerliche Rätsel nicht gelöst
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