Zirkuskind
deponieren, dann aber die Fähre von Panjim
nach Bombay nehmen. Auf diese Weise würde – mit ein bißchen Glück, und während sie
sich auf der Fähre befand – die Polizei an Bushaltestellen nach ihr suchen.
Doch Nancy sollte
noch mehr Glück haben. Als die Leichen schließlich entdeckt wurden, mußte der Mann,
der Dieter das Häuschen vermietet hatte, zugeben, daß er Beth und Nancy nur von
weitem gesehen hatte. Da Dieter Deutscher war, ging der Vermieter davon aus, daß
die zwei anderen ebenfalls Deutsche waren. Außerdem hatte er Nancy für einen Mann
gehalten, da sie so groß war – zumal neben Beth. Der Vermieter erklärte der Polizei,
die gesuchte Person sei ein männlicher deutscher Hippie. [383] Als die Pässe in Calangute
gefunden wurden, stellte die Polizei fest, daß Beth Amerikanerin gewesen war; trotzdem
ging die Polizei weiterhin davon aus, daß es sich bei dem Mörder um einen deutschen
Mann handelte, der mit dem Bus unterwegs war.
Das Grab sollte
nicht sofort entdeckt werden, da die Flut jedesmal nur ein bißchen Sand in der Nähe
des Wasserlaufs fortspülte. Es war unklar, ob Aasgeier oder streunende Hunde die
ersten waren, die etwas rochen. Doch bis dahin war Nancy längst über alle Berge.
Sie wartete nur
noch ab, bis die Sonne über die Dächer der Palmen kam und den Strand in weißes Licht
tauchte. Danach dauerte es nur ein paar Minuten, bis sie den nassen Sand auf dem
Grab getrocknet hatte. Mit einem Palmwedel wischte Nancy den schmalen Streifen Strand
glatt, der in den Dschungel und zum Häuschen führte. Dann machte sie sich hinkend
auf den Weg. Es war noch früh am Morgen, als sie Anjuna verließ. Sie glaubte ein
versprengtes Häufchen Exzentriker entdeckt zu haben, als sie die nackten Sonnenanbeter
und Schwimmer sah, die in dieser Gegend fast schon ein alltäglicher Anblick waren.
Da sie krank gewesen war, wußte sie das nicht.
Am ersten Tag war
ihr Fuß nicht allzu schlimm, aber nachdem sie die Pässe deponiert hatte, mußte sie
durch den mehrere Kilometer langen Ort Calangute laufen. Weder im Hotel Meena noch
im Varma gab es einen Arzt. Jemand sagte ihr, im Hotel Concha würde ein englischsprechender
Arzt wohnen, doch als sie dort ankam, war er bereits abgereist. Im Concha sagte
man ihr, daß es in Baga im Hotel Bardez einen englischsprechenden Arzt gebe. Als
sie am nächsten Tag hinging, wurde sie abgewiesen; inzwischen hatte sich ihr Fuß
entzündet.
Als Nancy aus ihrem
unendlich langen Bad in Dr. Daruwallas Badewanne auftauchte, konnte sie sich nicht
mehr erinnern, ob die Morde zwei oder drei Tage zurücklagen. Sie erinnerte sich
jedoch an einen krassen Fehler, den sie begangen hatte. Sie hatte [384] Dr. Daruwalla
bereits gesagt, daß sie die Fähre nach Bombay nehmen wollte; das war ausgesprochen
unklug gewesen. Als der Doktor und seine Frau ihr auf den Tisch auf dem Balkon halfen,
hielten sie ihr Schweigen irrtümlich für Angst vor der kleinen Operation; dabei
überlegte Nancy, wie sie ihren Fehler wieder ausbügeln konnte. Sie zuckte bei der
Betäubungsspritze kaum mit der Wimper, und während Dr. Daruwalla sich anschickte,
die Glassplitter herauszuholen, sagte Nancy gelassen: »Ach, wissen Sie, das mit
Bombay habe ich mir anders überlegt. Ich fahre lieber nach Süden. Ich werde den
Bus von Calangute nach Panjim nehmen und von dort den Bus nach Margao. Ich will
nämlich nach Mysore, wo die Räucherstäbchen hergestellt werden. Dann möchte ich
weiter nach Kerala. Was halten Sie davon?« fragte sie den Doktor. Sie wollte, daß
er sich später an ihre falsche Reiseroute erinnerte.
»Mir scheint, Sie
haben den Ehrgeiz, weit herumzukommen«, sagte Dr. Daruwalla. Er entfernte eine erstaunlich
große, halbmondförmige Glasscherbe aus ihrem Fuß. Wahrscheinlich stammte sie vom
Boden einer Colaflasche, erklärte ihr der Doktor. Die kleineren Schnittwunden desinfizierte
er, sobald er die restlichen Splitter entfernt hatte. Die große Wunde verband er
mit Jodoformgaze. Außerdem gab er Nancy ein Antibiotikum, das er für seine Kinder
nach Goa mitgenommen hatte. In ein paar Tagen würde sie noch einmal einen Arzt aufsuchen
müssen – falls sie Fieber bekam oder sich die Umgebung der Wunde rötete, eher.
Nancy hörte gar
nicht zu, sondern überlegte, wie sie den Doktor bezahlen sollte. Sie hielt es weder
für angebracht, ihn zu bitten, den Dildo aufzuschrauben, noch fand sie, daß er kräftig
genug aussah. Farrokhs Gedanken kreisten ebenfalls um den Dildo.
»Ich kann
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