Zirkuskind
eine Menge Schweineleber enthält und mit übermäßig viel
Essig gewürzt ist. Doch beherrscht wurde der Geruch seines schweren Atems von dem
getrockneten Entenfleisch mit Tamarinde, und seine Schnarcher waren mit kräftigen
Wolken eines roten Landweins gewürzt, den er am nächsten Morgen schwer bereuen sollte.
Er hätte beim Bier bleiben sollen. Julia war dankbar, daß ihr Mann sich entschlossen
hatte, in der Hängematte auf dem Balkon zu schlafen, wo er mit seinen Blähgeräuschen
nur das Arabische Meer – und die Eidechsen und Insekten, die es hier nachts in Scharen
gab – stören würde. Außerdem wollte sich Julia gern von der durch James Salters
schriftstellerisches Können entfachten Leidenschaft ausruhen. Julias geheime Mutmaßungen
über den Dildo des abgereisten Hippiemädchens hatten ihr erotisches Feuer fürs erste
abgekühlt.
Was nun die Insekten
und Eidechsen betraf, die an dem Moskitonetz hingen, das den engelhaften Doktor
in seiner Hängematte einhüllte, so waren Geckos wie Moskitos von den Tönen, die
der Doktor von sich gab, offenbar ebenso bezaubert wie von seinen Düften. Bevor
Farrokh sich schlafen legte, hatte er ein Bad genommen und seinen rundlichen, hellbraunen
Körper überall mit Cuticura-Puder eingestäubt – vom Hals bis zu den Zwischenräumen
zwischen den Zehen. Seine blankrasierte Kehle und die Wangen hatte er mit einem
kräftigen, nach Zitrone [388] riechenden Rasierwasser erfrischt. Sogar sein Oberlippenbärtchen
hatte er abrasiert, so daß nur noch ein kleiner Bart am Kinn übrigblieb. Ansonsten
war sein Gesicht fast so glatt wie das eines Babys. Dr. Daruwalla war so sauber
und roch so herrlich, daß es Nancy vorkam, als würde nur das Moskitonetz die Geckos
und Moskitos daran hindern, ihn anzuknabbern.
In einer Tiefschlafphase,
so tief, daß Farrokh glaubte, tot zu sein und irgendwo in China begraben zu liegen,
träumte er, daß glühende Bewunderer seinen Leichnam ausgruben – um irgend etwas
zu beweisen. Der Doktor wünschte, sie würden ihn in Ruhe lassen, denn er hatte das
Gefühl, in Frieden zu ruhen. In Wirklichkeit war er, betäubt vom vielen Wein und
weil er sich überfressen hatte, in der Hängematte weggedämmert. Daß er träumte,
zur Beute von Totengräbern zu werden, war sicher ein Hinweis auf seine übermäßige
Genußsucht.
Was spielt es für
eine Rolle, wenn mein Körper ein Wunder ist, träumte er – bitte laßt ihn bloß in
Frieden!
Unterdessen fand
Nancy, was sie suchte; die halbmondförmige Glasscherbe lag im Aschenbecher, wo sie
nur einen getrockneten Blutfleck hinterlassen hatte. Als sie sie an sich nahm, hörte
sie Dr. Daruwalla rufen: »Laßt mich in China!« Der Doktor zappelte mit den Beinen,
und Nancy stellte fest, daß einer seiner hübschen, eierschalenbraunen Füße dem Moskitonetz
entschlüpft war und jetzt aus der Hängematte ragte – den Schrecken der Nacht ausgesetzt.
Infolge dieser Störung flitzten die Geckos in alle Richtungen davon, und die Moskitos
schwirrten aufgeregt umher.
Nancy blieb mucksmäuschenstill,
bis sie sicher war, daß Dr. Daruwalla tief schlief. Sie wollte ihn nicht aufwecken,
aber es fiel ihr schwer, ihn so liegenzulassen, solange sein reizender Fuß den Elementen
preisgegeben war. Immerhin hatte der Doktor ihr auch einen Gefallen getan. Sie überlegte,
wie sie Farrokhs Fuß unbemerkt wieder unter das Moskitonetz schieben könnte, aber [389] ihre neugewonnene Vernunft gebot ihr, kein Risiko einzugehen. So kletterte sie
an dem Rankengewächs vom Balkon wieder in den Innenhof hinunter. Da sie dazu beide
Hände benötigte, klemmte sie die Glasscherbe behutsam zwischen die Zähne und achtete
sorgfältig darauf, daß sie sich nicht in die Zunge oder die Lippen schnitt. Hinkend
folgte sie der dunklen Straße nach Calangute, auf der sie die Scherbe irgendwo wegwarf.
Sie landete in einem dichten Palmenwäldchen, wo sie geräuschlos verschwand – ebenso
unsichtbar für jedes menschliche Auge wie Nancys verlorene Unschuld.
Die falsche Zehe
Zum Glück
hatte Nancy das Hotel Bardez noch rechtzeitig verlassen. Sie hatte keine Ahnung,
daß Rahul dort logierte, und umgekehrt wußte auch Rahul nicht, daß Nancy Dr. Daruwallas
Patientin gewesen war. Sie hatte wirklich unglaubliches Glück, weil Rahul – in derselben
Nacht! – ebenfalls zum Balkon der Daruwallas im zweiten Stock hinaufkletterte. Nancy
war gekommen und wieder verschwunden, und als Rahul auf dem Balkon anlangte, war
Dr. Daruwallas armer Fuß noch immer
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