Zirkuskind
Ihnen
nicht sehr viel zahlen«, erklärte Nancy dem Doktor.
[385] »Sie sollen mir
überhaupt nichts zahlen!« entgegnete Dr. Daruwalla. Er gab ihr seine Visitenkarte,
aus reiner Gewohnheit.
Nancy las die Karte
und sagte: »Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich nicht nach Bombay fahre.«
»Ich weiß, aber
falls Sie Fieber bekommen oder die Infektion sich verschlimmert, sollten Sie mich
anrufen – egal, wo Sie sind. Oder wenn Sie einen Arzt aufsuchen, mit dem Sie sich
nicht verständigen können, dann soll er mich anrufen«, sagte Farrokh.
»Vielen Dank«, sagte
Nancy.
»Und laufen Sie
nicht mehr herum als unbedingt nötig«, riet ihr der Doktor.
»Ich fahre doch
mit dem Bus«, wiederholte Nancy nachdrücklich.
Als sie zur Treppe
hinkte, stellte der Doktor ihr John D. vor. Sie war nicht in Stimmung, einen so
gutaussehenden jungen Mann kennenzulernen, und obwohl er ihr gegenüber sehr höflich
war – er erbot sich sogar, ihr die Treppe hinunterzuhelfen –, reagierte Nancy extrem
empfindlich auf seine geschliffenen europäischen Manieren. Er zeigte nicht einen
Funken erotisches Interesse an ihr, und das tat ihr mehr weh als ihr Fuß. Sie verabschiedete
sich von Dr. Daruwalla und erlaubte John D., sie hinunterzutragen. Sie wußte zwar,
daß sie schwer war, aber er sah stark aus. Der Wunsch, ihn zu schockieren, wurde
übermächtig. Außerdem war sie überzeugt, daß er genügend Kraft haben würde, um den
Dildo aufzuschrauben.
»Wenn es Ihnen nicht
zuviel Mühe macht«, sagte sie in der Eingangshalle des Hotels zu ihm, »könnten Sie
mir einen großen Gefallen tun.« Sie zeigte ihm den Dildo, ohne ihn aus dem Rucksack
zu holen. »Die Spitze läßt sich aufschrauben«, erklärte sie ihm, während sie ihm
in die Augen sah. »Aber ich habe einfach nicht genug Kraft.« Sie beobachtete weiterhin
sein Gesicht, während er den großen Schwanz mit beiden Händen packte. Sie [386] würde
ihn wegen seiner unglaublichen Gelassenheit in Erinnerung behalten.
Sobald er die Spitze
gelockert hatte, gebot sie ihm Einhalt.
»Das genügt«, erklärte
sie, da sie vermeiden wollte, daß er das Geld sah. Sie war enttäuscht, daß er sich
offensichtlich nicht aus der Fassung bringen ließ, aber noch gab sie nicht auf.
Sie beschloß, ihm so lange in die Augen zu schauen, bis er den Blick abwenden mußte.
»Ich möchte Sie verschonen«, sagte sie sanft. »Sie wollen sicher nicht wissen, was
da drin ist.«
Auch würde sie ihn
wegen seines spontanen, spöttischen Lächelns in Erinnerung behalten, denn John D.
war ein Schauspieler, lange bevor er Inspector Dhar wurde. Sie würde sich an dieses
höhnische Lächeln erinnern, mit dem Inspector Dhar später ganz Bombay in Rage versetzen
sollte. Schließlich war Nancy diejenige, die den Blick abwenden mußte; auch das
würde ihr in Erinnerung bleiben.
Sie machte einen
Bogen um die Bushaltestelle in Calangute; sie wollte versuchen, per Autostopp nach
Panjim zu fahren, selbst wenn das bedeutete, daß sie zu Fuß gehen – oder sich mit
dem Spaten verteidigen – mußte. Sie hoffte, daß es noch einen oder zwei Tage dauern
würde, bis man die Leichen entdeckte. Doch bevor sie die Straße nach Panjim ausfindig
gemacht hatte, fiel ihr die große Glasscherbe ein, die der Doktor aus ihrem Fuß
entfernt hatte. Er hatte sie ihr gezeigt und sie dann in einen Aschenbecher gelegt,
der auf einem Tischchen neben der Hängematte stand. Wahrscheinlich würde er sie
wegwerfen, dachte sie. Aber was war, wenn er von der zerbrochenen Flasche in dem
Hippiegrab (wie es bald hieß) erfuhr und sich fragte, ob die Glasscherbe aus ihrem
Fuß dazupaßte?
Spätnachts kehrte
Nancy zum Hotel Bardez zurück. Die Eingangstür war zugesperrt, und der Bursche,
der die ganze Nacht auf einer Binsenmatte in der Eingangshalle schlief, redete noch
immer mit dem Hund, den er jede Nacht bei sich hatte; [387] deshalb hörte der Hund
Nancy auch nicht, als sie am Rankengewächs zum Balkon der Daruwallas im zweiten
Stock hinaufkletterte. Die Wirkung der Prokainspritze hatte nachgelassen, und ihr
Fuß pochte. Aber Nancy hätte vor Schmerzen schreien und Möbel umstoßen können, ohne
daß Dr. Daruwalla davon aufgewacht wäre. Der Lunch des Doktors wurde bereits beschrieben.
Sein Abendessen ebenfalls bis ins Detail zu schildern, wäre ekelhaft; es mag genügen
zu erwähnen, daß er statt einem Fisch- ein Schweinefleisch- vindaloo aß und sich dann noch einen Schweinefleisch-Curry
einverleibte, der sich sorpotel nennt,
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