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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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in Anbetracht der erstklassigen
Qualität und der Menge Haschisch, die Dieter, wie er überall herumerzählt hatte,
angeblich kaufen wollte, hatte Rahul mit mehr gerechnet. Natürlich war auch noch
mehr da, viel mehr – im Dildo.
    Promila ging davon
aus, daß es ihren Neffen in erster Linie wegen der Kunstakademie nach London zog.
Außerdem wußte sie, daß er eine vollständige Geschlechtsumwandlung anstrebte, und
sie wußte auch, daß solche Operationen teuer waren. In Anbetracht ihres Hasses auf
die Männer war Promila entzückt, daß ihr Neffe sich entschlossen hatte, ihre Nichte
zu werden, täuschte sich aber, wenn sie glaubte, daß das Hauptmotiv für den von
Rahul vorgeschlagenen London-Aufenthalt die Kunstakademie war.
    Hätte sich das Mädchen,
das Rahuls Zimmer saubermachte, die weggeworfenen Zeichnungen im Papierkorb genauer
angesehen, hätte sie Promila sagen können, daß Rahuls zeichnerische Begabung in
eine pornographische Richtung wies, die die meisten Kunstakademien mißbilligt hätten.
Die Selbstporträts hätten das Zimmermädchen sicher tief beunruhigt, doch für sie
waren die weggeworfenen Zeichnungen lediglich zusammengeknülltes Papier, so daß
sie sich nicht die Mühe machte, sie genauer anzusehen.
    Auf dem Weg zu der
Villa in Alt-Goa warf Promila einen Blick in Rahuls Handtasche und entdeckte dessen
neue, eigenartige Geldklammer; zumindest benutzte er das Ding – die Kappe eines
silbernen Kugelschreibers – als Geldklammer.
    »Du bist wirklich
exzentrisch, meine Liebe!« sagte Promila. »Warum legst du dir keine richtige Geldklammer
zu, wenn du solche Dinge magst?«
    [400]  »Na ja, Tantchen«,
erklärte Rahul geduldig, »ich finde, echte Geldklammern sitzen zu locker, wenn man
kein wirklich dickes Geldbündel hineinsteckt. Ich habe immer gern ein paar kleine
Scheine lose in der Tasche, griffbereit für ein Taxi oder ein Trinkgeld.« Er demonstrierte
ihr, daß die Kappe des silbernen Stifts eine sehr kräftige, stramme Klammer hatte
– gedacht zum Einhängen an einer Sakko- oder Hemdtasche –, die sich hervorragend
zum Zusammenhalten einiger weniger Rupien eignete. »Außerdem ist sie echt Silber«,
fügte Rahul hinzu.
    Promila hielt sie
in ihrer blaugeäderten Hand. »Das stimmt tatsächlich, mein Lieber«, bemerkte sie.
Dann las sie das eine Wort, das in Schreibschrift in die obere Hälfte des Stifts
eingraviert war: » ›India‹… ist das nicht süß?«
    »Fand ich jedenfalls«,
meinte Rahul und steckte das ausgefallene Ding wieder in seine Handtasche.
    Je hungriger Dr.
Daruwalla in der Zwischenzeit wurde, um so lascher wurden seine Gebete. Vorsichtig
ließ er seinen Sinn für Humor wiederaufleben. Nachdem er etwas gegessen hatte, konnte
er über seine Bekehrung schon fast scherzen. »Ich möchte bloß wissen, was der Allmächtige
als nächstes von mir verlangt!« sagte er zu Julia, die ihn erneut davor warnte,
blasphemische Reden zu führen.
    Was den Doktor als
nächstes erwartete, sollte seinen neuerworbenen Glauben in einer Art und Weise auf
die Probe stellen, die ihn zutiefst beunruhigte. Auf demselben Weg, auf dem Nancy
den Aufenthaltsort des Doktors ermittelt hatte, machte auch die Polizei den Doktor
ausfindig. Sie hatten das inzwischen allgemein so genannte »Hippiegrab« gefunden
und brauchten einen Arzt, der ihnen Genaueres über die Todesursache der grausig
zugerichteten Leichen sagen konnte. Da ein einheimischer Arzt zuviel über das Verbrechen
reden würde, hatten sie nach einem Arzt Ausschau gehalten, der hier Urlaub machte.
So jedenfalls wurde die Anfrage bei Dr. Daruwalla begründet.
    [401]  »Aber ich mache
keine Autopsien!« protestierte der Doktor. Trotzdem fuhr er nach Anjuna, um sich
die Leichen anzusehen.
    Zunächst wurde allgemein
davon ausgegangen, daß die Blaukrabben die Leichen so übel zugerichtet hatten; und
obwohl das Salzwasser in bescheidenem Umfang als Konservierungsmittel wirkte, vermochte
es den Gestank nur wenig abzumildern. Farrokh konnte ohne Schwierigkeiten feststellen,
daß beide Personen durch mehrere Schläge auf den Kopf umgekommen waren, wobei der
Körper der Frau schlimmer aussah. Ihre Unterarme und Handrücken waren ebenfalls
übel zugerichtet, was darauf schließen ließ, daß sie versucht hatte, sich zu wehren.
Der Mann hatte eindeutig gar nicht mitbekommen, was mit ihm geschah.
    Aber am deutlichsten
würde Farrokh die Elefantenzeichnung in Erinnerung behalten. Der Nabel des ermordeten
Mädchens war in ein zwinkerndes Auge

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