Zirkuskind
verwandelt worden, und der Stoßzahn auf der
anderen Seite war lässig erhoben, als wollte der Elefant an einen imaginären Hut
tippen. Mit kurzen, kindlich einfachen Strichen war angedeutet, daß aus dem Elefantenrüssel
Wasser auf das Schamhaar des toten Mädchens spritzte. Diese spöttische Karikatur
sollte Dr. Daruwalla zwanzig Jahre lang verfolgen; er sollte sich besser daran erinnern,
als ihm lieb war.
Als Farrokh die
zerbrochene Glasflasche sah, verspürte er ein leichtes Unbehagen, das jedoch rasch
verflog. Nach seiner Rückkehr ins Hotel Bardez konnte er die Glasscherbe, die er
aus dem Fuß der jungen Frau entfernt hatte, nirgends mehr finden. Und wenn das Glas
aus dem Grab dazugepaßt hätte? überlegte er. Na wenn schon! Colaflaschen gab es
hier überall. Außerdem hatte ihm die Polizei bereits mitgeteilt, daß es sich bei
dem Mörder vermutlich um einen deutschen Mann handelte.
Farrokh überlegte,
daß diese Theorie den Vorurteilen der hiesigen Polizei genau entsprach – nämlich
daß nur ein Hippie aus Europa oder Nordamerika imstande war, einen Doppelmord zu
begehen und ihn dann mit einer Karikatur zu bagatellisieren. [402] Eigenartigerweise
regten diese Morde und die Zeichnung Dr. Daruwallas Bedürfnis nach mehr Kreativität
an. Er ertappte sich dabei, daß er sich vorstellte, selbst ein Kriminalbeamter zu
sein.
An seinen Erfolg
als Orthopäde knüpften sich natürlich auch gewisse finanzielle Ansprüche; und die
übertrug der Doktor auch auf seine Phantasievorstellung von sich selbst als Drehbuchautor.
Ein einzelner Film hätte Farrokhs plötzlichen, unstillbaren Kreativitätsdrang unmöglich
befriedigen können. Dafür war schon eine ganze Reihe von Filmen mit demselben Kriminalbeamten
in der Hauptrolle nötig. Und so geschah es denn auch. Am Ende seines Urlaubs, auf
der Fähre zurück nach Bombay, erfand Dr. Daruwalla seinen Inspector Dhar.
Farrokh beobachtete
die jungen Frauen an Bord, die ihre Blicke nicht von dem schönen John D. abzuwenden
vermochten. Und auf einmal konnte er sich ein Bild von dem Helden machen, den sich
diese jungen Frauen vorstellten, wenn sie einen jungen Mann so ansahen. Die Erregung,
die James Salters Vorbild entfacht hatte, verblaßte bereits zu einem Augenblick
erotischer Vergangenheit, zu einem Teil der zweiten Flitterwochen, die Dr. Daruwalla
gerade hinter sich ließ. Mord und Korruption beeindruckten ihn mehr als Kunst. Dazu
kam noch, daß er John D. auf diese Weise eine phantastische Karriere ermöglichen
könnte!
Es wäre Farrokh
nie in den Sinn gekommen, daß die junge Frau mit dem großen Dildo dieselben Mordopfer
gesehen hatte wie er. Doch zwanzig Jahre später weckte selbst die Filmversion dieser
Zeichnung auf Beths Bauch bei Nancy Erinnerungen. Es konnte unmöglich ein Zufall
sein, daß der Nabel des Opfers das zwinkernde Elefantenauge war und der Stoßzahn
auf der anderen Seite nach oben zeigte. Im Film sah man kein Schamhaar, aber die
kindlichen gestrichelten Linien verrieten Nancy, daß der Elefantenrüssel noch immer
Wasser spritzte – wie ein Duschkopf oder eine Schlauchdüse.
Nancy erinnerte
sich auch wieder an den schönen, nicht aus [403] der Fassung zu bringenden jungen Mann,
mit dem Dr. Daruwalla sie bekannt gemacht hatte. Als sie den ersten Inspector-Dhar-Film
sah, fiel ihr ein, wann sie dieses wissende, höhnische Lächeln zum erstenmal gesehen
hatte. Der zukünftige Schauspieler war kräftig genug gewesen, um sie ohne erkennbare
Mühe die Treppe hinunterzutragen; und er war so gelassen gewesen, daß er den peinlichen
Dildo aufschraubte, ohne sichtlich entsetzt zu sein.
Auf all das bezog
sich die unmißverständliche Nachricht, die Nancy auf Dr. Daruwallas Anrufbeantworter
hinterlassen hatte. »Ich weiß, wer Sie in Wirklichkeit sind, ich weiß, was Sie in
Wirklichkeit tun«, teilte sie dem Doktor mit. »Sagen Sie es dem Kommissar, dem echten
Polizisten. Sagen Sie ihm, wer Sie sind. Sagen Sie ihm, was Sie tun«, hatte sie
den heimlichen Drehbuchautor aufgefordert, denn sie war dahintergekommen, wer Inspector
Dhar erfunden hatte.
Nancy wußte, daß
niemand sich die Filmversion dieser Zeichnung auf Beths Bauch hätte ausdenken können.
Inspector Dhars Erfinder mußte gesehen haben, was sie gesehen hatte. Und den attraktiven
John D., der sich jetzt als Inspector Dhar präsentierte, hätte die Polizei niemals
aufgefordert, sich die Mordopfer anzusehen. Dafür war der Doktor zuständig. Folglich
wußte Nancy, daß Dhar sich nicht
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