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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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den psychiatrischen Gutachtern
und Sexualtherapeuten positiv vermerkt wurde.
    Es fanden gemeinsame
Sitzungen mit anderen Transsexuellen statt, sowohl solchen, die eine Operation beantragt
hatten, als auch solchen, die sich in einem fortgeschrittenen »Trainingsstadium«
für ihr Leben als Frau nach der Operation befanden. Auch »fertige« Transsexuelle
nahmen an diesen qualvollen Zusammenkünften teil. Man ging davon aus, daß der Umgang
mit richtigen Transsexuellen den Leuten Mut machte, weil sie sich überzeugen konnten,
daß diese echte Frauen geworden waren. Rahul ekelte sich, denn er konnte es nicht
ertragen, wenn irgend jemand zu unterstellen wagte, daß er oder sie so war wie er.
Rahul wußte einfach, daß er »anders« war als alle anderen.
    Er fand es abstoßend,
daß diese fertigen Transsexuellen sogar Namen und Telefonnummern ehemaliger männlicher
Freunde austauschten, interessanter Männer, wie sie behaupteten, die »Frauen wie
uns« keineswegs abstoßend, sondern möglicherweise sogar anziehend fanden. Wie konnten
sie nur! Rahul wurde doch keine Frau, um Mitglied in irgendeinem transsexuellen
Club zu werden. Wenn die Operation erst einmal vollzogen war, würde kein Mensch
jemals merken, daß Rahul nicht als Frau auf die Welt gekommen war.
    Eine Person freilich
wußte es doch: Tante Promila. Sie hatte ihn tatkräftig unterstützt. Doch allmählich
störte es Rahul, wie sehr sie ihn zu beherrschen versuchte. Sie wollte seinen Aufenthalt
in London auch weiterhin äußerst großzügig unterstützen, aber dafür mußte er ihr
versprechen, sie nicht zu vergessen, [414]  sprich: Er brauchte sie nur von Zeit zu
Zeit zu besuchen und ihr etwas Aufmerksamkeit zu schenken. Rahul hatte nichts gegen
diese regelmäßigen Besuche in Bombay, nur ärgerte es ihn, daß seine Tante bestimmte,
wie oft und wann er sie zu besuchen hatte. Und je älter sie wurde, um so häufiger
brauchte sie ihn und schreckte auch nicht davor zurück, schamlos immer wieder Rahuls
besondere Berücksichtigung in ihrem Testament zu erwähnen.
    Trotz Promilas erheblichen
Einflusses – und entsprechender Bestechungsgelder – brauchte Rahul länger, um seine
offizielle Namensänderung durchzusetzen, als er gebraucht hatte, um sein Geschlecht
ändern zu lassen. Und obwohl es viele andere weibliche Namen gab, die ihm besser
gefallen hätten, entschied er sich aus taktischen Gründen für Promila, was seine
Tante gewaltig freute und ihm eine wirklich bevorzugte Stellung in ihrem häufig
erwähnten Testament sicherte. Doch auch mit dem neuen Namen in seinem neuen Paß
kam sich Rahul noch immer unvollständig vor. Vielleicht hatte er das Gefühl, nie
Promila Rai sein zu können, solange seine Tante Promila noch am Leben war. Und da
Promila der einzige Mensch auf Erden war, den Rahul liebte, verursachte ihm die
Ungeduld, mit der er ihren Tod herbeisehnte, Schuldgefühle.
    Erinnerungen an Tante Promila
    Er war
fünf oder sechs Jahre alt gewesen, vielleicht auch erst vier – genau konnte sich
Rahul nicht mehr erinnern. Doch er wußte noch gut, daß er fand, er sei alt genug,
um allein auf die Herrentoilette zu gehen. Aber Tante Promila nahm ihn immer in
die Damentoilette – und ins Toilettenabteil – mit. Er sagte ihr, daß es in der Männertoilette
Urinbecken gebe und daß sich Männer zum Pinkeln hinstellten.
    [415]  »Ich kenne eine
bessere Art zu pinkeln«, erklärte sie ihm.
    Die Damentoilette
im Duckworth Club stand bedauerlicherweise im Zeichen des Elefanten. Verglichen
damit war das Tigerjagddekor in der Männertoilette ungleich weniger aufdringlich.
Zum Beispiel befand sich in den Abteilen der Damentoilette innen an der Tür eine
herunterklappbare Ablage, bestehend aus einem einfachen Brett, das flach an der
Tür anlag, wenn es nicht benötigt wurde. Herunterziehen ließ es sich mit Hilfe eines
Rings, der wie ein Nasenring durch einen Elefantenrüssel führte. Auf dieser Ablage
konnte eine Dame ihre Handtasche deponieren – oder was immer sie sonst bei sich
hatte.
    Wenn Promila mit
Rahul auf die Toilette ging, hob sie jedesmal ihren Rock hoch und zog den Schlüpfer
herunter; dann hockte sie sich auf den Toilettensitz, und Rahul, der ebenfalls Hose
und Unterhose herunterzog, setzte sich auf ihren Schoß.
    »Zieh den Elefanten
herunter, mein Lieber«, sagte Tante Promila zu ihm, und dann beugte sich Rahul nach
vorne, bis er den Ring am Elefantenrüssel erreichen konnte. Der Elefant hatte keine
Stoßzähne, und Rahul fand, daß es dem Tier

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