Zirkuskind
der Harnröhre und die Tatsache, daß sich in der
Unterwäsche ein leichter Scheidenausfluß bemerkbar machte, hatten dazugeführt, daß
Nancy zunächst noch wartete, bis sie eine sexuelle Beziehung zu Vijay Patel anknüpfte.
Die Symptome waren harmlos und entsprachen bis zu einem gewissen Grad denen einer
Blasenentzündung und einer Harnwegsinfektion. Sie wollte nicht daran denken, daß
Dieter ihr womöglich eine Geschlechtskrankheit angehängt hatte, obwohl sie allen
Grund zur Sorge hatte, wenn sie an dieses Bordell in Kamathipura zurückdachte und
daran, wie vertraulich sich Dieter mit der Bordellwirtin unterhalten hatte.
Außerdem erkannte
Nancy damals bereits, daß sie und der junge Patel drauf und dran waren, sich zu
verlieben. Sie hatte nicht die Absicht, ihn nach einem geeigneten Arzt zu fragen.
Statt dessen fand sie in dem abgenutzten Reiseführer, den sie noch immer getreulich
mit sich herumtrug, ein Rezept für eine Spülung für unterwegs. Doch sie brachte
das Mischungsverhältnis von Wasser und Essig durcheinander, so daß das Brennen anschließend
viel schlimmer war als zuvor. Eine Woche lang wies ihre Unterwäsche einen kräftigen
gelben Fleck auf, den sie der unklugen Behandlung mit der selbstgemachten Spülung
zuschrieb. Die Bauchschmerzen schließlich setzten etwa mit dem Beginn ihrer Periode
ein, die ungewöhnlich stark war. Sie hatte heftige Krämpfe und sogar leichten Schüttelfrost,
so daß sie sich [421] fragte, ob ihr Körper die Spirale abzustoßen versuchte. Danach
erholte sie sich vollständig. Erst zehn Jahre später fiel ihr diese Geschichte wieder
ein. Sie saß mit ihrem Mann in der piekfeinen Privatpraxis eines Facharztes für
Geschlechtskrankheiten und füllte – mit Vijays Hilfe – einen detaillierten Fragebogen
aus, der mit zur Behandlung von Unfruchtbarkeit gehörte.
Folgendes war geschehen:
Dieter hatte ihr einen Tripper angehängt, den er sich bei der dreizehnjährigen Prostituierten
geholt hatte, die er im Flur dieses Bordells in Kamathipura im Stehen gefickt hatte.
Daß keine Zimmer mit Matratzen oder Kojen verfügbar waren, wie die Wirtin ihm weismachte,
hatte nicht gestimmt. Vielmehr wollte die junge Prostituierte es im Stehen machen,
weil ihr Tripper bereits das Stadium erreicht hatte, in dem sich die unangenehmen
Symptome einer Entzündung des kleinen Beckens bemerkbar machten. Das hatte zur Folge,
daß ihr das Auf- und Abbewegen des Gebärmutterhalses Schmerzen in den Eileitern
und Eierstöcken verursachte. Kurz gesagt, es tat ihr weh, wenn das Gewicht eines
Mannes auf ihren Bauch wummerte. Für sie war es besser, wenn sie aufrecht stand.
Was Dieter betraf,
so war er ein vorsichtiger und heikler junger Deutscher, der sich eine Penicillinspritze
verpaßte, bevor er das Bordell verließ. Ein befreundeter Medizinstudent hatte ihm
gesagt, daß man damit das Entstehen einer Syphilis verhindern könne. Die Injektion
bewirkte jedoch keine Abtötung der Neisseria gonorrhoeae, der Trippererreger, die ihrerseits
einen penicillinhemmenden Stoff produzieren. Und daß diese Bakteriengattung in tropischen
Ländern weit verbreitet war, hatte ihm niemand gesagt. Außerdem wurde Dieter knapp
eine Woche nach dem Kontakt mit der infizierten Prostituierten ermordet; zu dem
Zeitpunkt hatten sich erst ganz leichte Symptome bei ihm bemerkbar gemacht.
Die relativ harmlosen
Symptome, die bei Nancy aufgetreten waren, bevor es zu einer spontanen Heilung und
Narbenbildung [422] kam, waren darauf zurückzuführen, daß sich die Entzündung vom Gebärmutterhals
auf die Gebärmutterschleimhaut und die Eileiter ausgedehnt hatte. Als der Venerologe
Mr. und Mrs. Patel erklärte, daß dies der Grund für Nancys Unfruchtbarkeit sei,
war das aufgewühlte Ehepaar fest davon überzeugt, daß Dieters häßliche Krankheit
– die noch aus dem Hippiegrab nachwirkte – der endgültige Beweis dafür war, daß
Gott sie strafte. Sie hätten nie einen Pfennig von diesem schmutzigen Geld im Dildo
anrühren dürfen.
Als sie sich daraufhin
bemühten, ein Kind zu adoptieren, machten sie eine nicht ungewöhnliche Erfahrung.
Die seriöseren Adoptionsvermittlungen, die über die Zeit der Schwangerschaft und
den Gesundheitszustand der leiblichen Mutter genau Buch führten, waren in bezug
auf die »gemischte« Ehe der Patels erbarmungslos. Das hätte die beiden letzten Endes
nicht abgeschreckt, verzögerte aber das aus entwürdigenden Befragungen und einem
Sumpf an kleinlichem Papierkram bestehende Verfahren. In der
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