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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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daß dieser sogenannte
Martin Mills in Bombay geboren war. Der Zollbeamte deutete auf diese Angabe im Paß
und zwinkerte dem vermeintlichen Inspector Dhar zu, um anzudeuten, daß er sich nichts
vormachen ließ.
    Martin Mills war
todmüde. Es war ein langer Flug gewesen, auf dem er eifrig Hindi gelernt und sich
ansonsten über die besonderen »Verhaltensweisen der einheimischen Bevölkerung« informiert
hatte. Er wußte zum Beispiel genau, wie man grüßte, aber über die Bedeutung des
Zwinkerns hatte ihm seine Lektüre keinerlei Aufschluß gegeben. Und der Zollbeamte
hatte ihm eindeutig zugezwinkert und ihn nicht mit der hier üblichen Geste und Verbeugung
begrüßt. Natürlich wollte der Missionar nicht unhöflich sein. Deshalb zwinkerte
er zurück und grüßte auch noch mit einer kleinen Verbeugung – nur um sicherzugehen.
    Der Zollbeamte war
sehr mit sich zufrieden. Er hatte das Zwinkern vor kurzem in einem Charles-Bronson-Film
gesehen, war aber nicht sicher, ob Inspector Dhar das als cool empfinden würde;
auf Dhar wollte der Zollbeamte vor allem cool wirken. Im Gegensatz zu den meisten
Einwohnern Bombays und sämtlichen Polizisten liebte dieser Zollbeamte die Inspector-Dhar-Filme
über alles. Bisher waren noch keine Zollbeamten darin vorgekommen und folglich auch
nicht gekränkt worden. Und da [445]  der Mann vor seiner Tätigkeit als Zollbeamter von
der Polizei abgelehnt worden war, fand er die ständigen Spötteleien über die Polizei
– und den dort üblichen großzügigen Umgang mit Bestechungsgeldern, der in jedem
Inspector-Dhar-Film vorkam – ganz nach seinem Geschmack.
    Trotzdem war es
höchst vorschriftswidrig, daß jemand unter falschem Namen einreiste, und der Zollbeamte
legte Wert darauf, Dhar klarzumachen, daß er seine Tarnung durchschaute, gleichzeitig
aber nichts unternehmen würde, was dem vor ihm stehenden Wunderknaben Unannehmlichkeiten
bereiten würde. Abgesehen davon sah Dhar ziemlich elend aus. Sein Gesicht war blaß,
seine Haut bleich und fleckig, und offenbar hatte er ziemlich abgenommen.
    »Sind Sie zum erstenmal
seit Ihrer Geburt in Bombay?«fragte der Zollbeamte Martin Mills. Er zwinkerte wieder
undlächelte.
    Martin Mills lächelte
und zwinkerte zurück. »Ja«, sagte er. »Aber ich werde mindestens drei Monate bleiben.«
    Das war in den Augen
des Zollbeamten natürlich absurd, aber er blieb weiterhin ganz cool. Er sah, daß
das Visum des Missionars den Vermerk »befristet« trug, bei Bedarf jedoch um drei
Monate verlängert werden konnte. Die Überprüfung des Visums gab Anlaß zu weiterem
Gezwinker. Von dem Zollbeamten wurde außerdem erwartet, daß er das Gepäck des Missionars
inspizierte. Für seinen dreimonatigen Besuch hatte der Scholastiker nur einen einzigen,
wenn auch sehr großen und schweren Koffer mitgebracht, und dieses wenig einnehmende
Gepäckstück enthielt einige Überraschungen: schwarze Hemden mit weißen, abknöpfbaren
Kragen – denn obwohl Martin Mills noch nicht zum Priester geweiht war, war es ihm
gestattet, diese Priestertracht zu tragen –, dann einen zerknitterten schwarzen
Anzug und etwa ein halbes Dutzend Hawaiihemden, und schließlich kamen die culpa -Perlen und eine dreißig Zentimeter
lange Peitsche mit [446]  geflochtenen Schnüren zum Vorschein, ganz zu schweigen von
einem Beineisen, das für den Oberschenkel gedacht war, mit nach innen gerichteten
Metalldornen. Aber der Zollbeamte blieb ruhig; er lächelte und zwinkerte weiter,
obwohl er über diese Folterwerkzeuge entsetzt war.
    Pater Julian wäre
beim Anblick derart antiquierter Kasteiungsgeräte ebenfalls entsetzt gewesen. Solche
Instrumente gehörten eindeutig der Vergangenheit an – selbst Pater Cecil wäre entsetzt
gewesen, vielleicht auch belustigt. Peitschen und Bein-eisen waren nie ein wesentlicher
Bestandteil des jesuitischen »Weges zur Vollkommenheit« gewesen. Selbst die culpa -Perlen waren ein Hinweis darauf,
daß Martin Mills vielleicht doch nicht dazu berufen war, Jesuit zu werden.
    Was den Zollbeamten
betraf, so trugen die Bücher des Scholastikers weiter zur Glaubwürdigkeit von Inspector
Dhars »Verkleidung« bei, denn als solche faßte er den Kofferinhalt auf – als die
wohldurchdachten Requisiten eines Schauspielers. Ohne Zweifel bereitete sich Dhar
auf eine neue, anspruchsvolle Rolle vor. Ob er diesmal einen Priester spielte? fragte
sich der Zollbeamte. Er sah sich die Bücher an, wobei er die ganze Zeit wohlwollend
zwinkerte und lächelte, während der verwirrte

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