Zirkuskind
getreulich ohne die Unterstützung
eines Amerikaners bewältigt. Die Leitung von St. Ignatius oblag einem verantwortungsvollen
Dreiergespann, das fast so erfolgreich war wie die Heilige Dreifaltigkeit. Der Pater
Rektor (Pater Julian, achtundsechzig Jahre alt und Engländer), der dienstälteste
Priester (Pater Cecil, zweiundsiebzig und Inder) und Frater Gabriel (der um die
fünfundsiebzig war und nach dem Bürgerkrieg aus Spanien geflohen war) bildeten ein
angesehenes Triumvirat, das selten in Frage gestellt und nie überstimmt wurde. Alle
drei waren einstimmig der Meinung, daß St. Ignatius der Menschheit und dem himmlischen
Königreich auch weiterhin ohne die Unterstützung eines Amerikaners würde dienen
können, aber nun war ihnen eben einer geschickt worden. Natürlich hätten sie einen
Inder bevorzugt, oder wenigstens einen Europäer, aber da das Durchschnittsalter
dieser drei Männer einundsiebzig Jahre und acht Monate betrug, sprach die Tatsache,
daß es sich um einen für ihre Begriffe »jungen« Missionar handelte, zu seinen Gunsten.
Mit seinen neununddreißig Jahren war Martin Mills kein Kind mehr. Nur Dr. Daruwalla
hätte den [438] »jungen« Martin dafür, daß er sich noch immer in der Ausbildung zum
Priester befand, als unangemessen alt empfunden. Daß der sogenannte Scholastiker
fast vierzig war, bedeutete für Pater Julian, Pater Cecil und Frater Gabriel wenigstens
einen gelinden Trost, obwohl alle drei davon überzeugt waren, daß das hundertfünfundzwanzigste
Jubiläum der Missionsstation darunter leiden würde, daß sie zur selben Zeit den
gebürtigen Kalifornier mit einer angeblichen Vorliebe für Hawaiihemden in Empfang
nehmen mußten.
Diese lachhafte
Eigenheit hatten sie aus dem insgesamt recht eindrucksvollen Dossier über Martin
Mills erfahren, dessen Referenzen ansonsten glänzend waren. Allerdings, so hatte
der Pater Rektor gemeint, müsse man bei Amerikanern zwischen den Zeilen lesen. Pater
Julian wies zum Beispiel darauf hin, daß Martin Mills seine Heimat Kalifornien offensichtlich
mied, obwohl dies nirgends in seinem Dossier erwähnt wurde. Er hatte anderswo in
den Vereinigten Staaten studiert und danach in Boston – also so weit wie möglich
von Kalifornien entfernt – eine Stelle als Lehrer angenommen. Das lasse eindeutig
auf gestörte Familienverhältnisse schließen, meinte Pater Julian. Vielleicht wollte
Martin Mills in Wirklichkeit seiner Mutter oder seinem Vater aus dem Weg gehen.
Neben der ungeklärten
Vorliebe des jungen Martin für alles Auffallende, die, so schloß Pater Julian, die
eigentliche Ursache für seine bereits erwähnte Vorliebe für Hawaiihemden war, wurden
in dem Dossier die erfolgreiche apostolische Arbeit des Scholastikers erwähnt –
bereits als Novize und vor allem mit jungen Leuten. St. Ignatius in Bombay war eine
gute Schule, und von Martin Mills wurde erwartet, daß er ein guter Lehrer war. Die
meisten Schüler waren keine Katholiken, viele waren nicht einmal Christen. »Ein
verrückter, bekehrungswütiger Amerikaner – das kann bei unseren Schülern nicht gutgehen«,
warnte der Pater Rektor, obwohl in dem Dossier [439] keine Rede davon war, daß Martin
Mills verrückt oder bekehrungswütig sei.
Erwähnt wurde jedoch,
daß er im Rahmen seines Noviziats eine sechswöchige Wallfahrt unternommen und während
dieser Zeit kein Geld ausgegeben hatte – nicht einen Penny. Er hatte immer wieder
einen Platz zum Wohnen und Arbeiten gefunden und dafür humanitäre Dienste geleistet,
etwa in Suppenküchen für die Obdachlosen, Krankenhäusern für behinderte Kinder,
Altenheimen, Unterkünften für Aidspatienten und einer Klinik für Säuglinge, die
an Alkoholembryopathie litten – sie befand sich in einem Indianerreservat.
Frater Gabriel und
Pater Cecil neigten dazu, Martin Mills’ Dossier in einem positiven Licht zu sehen.
Pater Julian hingegen zitierte aus Thomas a Kempis’ Nachfolge Christi: »Sei selten mit jungen Leuten und
Fremden.« Der Pater Rektor hatte Martin Mills’ Dossier durchgelesen, als handelte
es sich um eine codierte Botschaft, die es zu entschlüsseln galt. Die Lehrtätigkeit
in St. Ignatius und die übrige Arbeit in der Missionsstation waren Teil des üblichen
dreijährigen Vorbereitungsdienstes auf die Priesterschaft. Auf diese Zeit, die als
Magisterium bezeichnet wurde, folgten weitere drei Jahre theologischer Studien.
Im Anschluß daran kam die Priesterweihe, und danach würde sich Martin Mills noch
ein viertes Jahr
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