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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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seine Vergangenheit gut verborgen
gehalten hatte. Keine noch so gründlichen publizistischen [62]  Nachforschungen konnten
mehr biographische Details über den Mystery Man zutage fördern, als er zuließ –
und Dhars Autobiographie war, genau wie seine Filme, weit hergeholt und erfunden
und bar jeglicher glaubwürdiger Fakten. Daß Inspector Dhar sich selbst erfunden
und mit dieser absurden und nicht überprüfbaren Fiktion anscheinend durchgekommen
war, verstärkte sicher noch die Verachtung, die ihm die Leute entgegenbrachten.
    Aber der Zorn der
Filmpresse kam Dhars Berühmtheit nur zugute. Da er sich weigerte, den Klatschjournalisten
Tatsachen zu liefern, verbreiteten sie über ihn von A bis Z erfundene Geschichten.
So, wie Dhar nun einmal war, paßte ihm das hervorragend in den Kram, denn die Lügenmärchen
ließen ihn um so geheimnisumwitterter erscheinen und steigerten nur die allgemeine
Hysterie, die er auslöste.
    Die Inspector-Dhar-Filme
waren so beliebt, daß Dhar bestimmt viele Fans und wahrscheinlich eine große Schar
Bewunderer hatte. Aber das Kinopublikum schwor, daß es ihn verachtete. Dhars Gleichgültigkeit
gegenüber seinem Publikum schürte diesen Haß noch. Der Schauspieler selbst mutmaßte,
daß sich sogar seine Fans die Filme großenteils nur deshalb ansahen, weil sie darauf
hofften, daß er endlich einmal versagte. Ihre Treue, auch wenn sie sich in erster
Linie auf die Hoffnung gründete, Zeugen eines Flops zu werden, sicherte Dhar einen
Filmerfolg nach dem anderen. In der Bombayer Kinoszene waren Halbgötter an der Tagesordnung;
Heldenverehrung war die Norm. Ungewöhnlich war, daß Inspector Dhar gehaßt wurde,
aber trotzdem ein Star war.
    Ironischerweise
waren Zwillinge, die unmittelbar nach der Geburt getrennt worden waren, bei Hindi-Drehbuchautoren
ein äußerst beliebtes Thema. Eine solche Trennung erfolgt häufig in der Klinik –
oder während eines Sturms oder bei einem Zugunglück. Typischerweise schlägt ein
Zwilling einen tugendhaften Weg ein, während sich der andere einem sündigen [63]  Leben
verschreibt. Üblicherweise gibt es irgend etwas, was die beiden verbindet – etwa
einen zerrissenen Zwei-Rupien-Schein (von dem jeder Zwilling eine Hälfte aufbewahrt).
Und oft fällt in dem Augenblick, in dem die beiden einander umbringen wollen, dem
einen die verräterische Hälfte des Zwei-Rupien-Scheins aus der Tasche. Auf diese
Weise wiedervereint, lassen die Zwillinge ihren stets gerechtfertigten Zorn an einem
echten Bösewicht aus, einem unsäglich üblen Schurken (der dem Publikum praktischerweise
in einem früheren Stadium der lächerlichen Geschichte vorgestellt wurde).
    Unglaublich, wie
sehr ganz Bombay Inspector Dhar haßte! Doch Dhar war ein echter Zwilling, der bei
der Geburt wirklich von seinem Bruder getrennt worden war, und Dhars wahre Geschichte
war viel unglaubhafter als jede, die sich irgendein phantasievoller Hindi-Drehbuchautor
aus den Fingern hätte saugen können. Dazu kam, daß fast niemand in Bombay und in
ganz Maharashtra Dhars wahre Geschichte kannte.
    Der Doktor als heimlicher Drehbuchautor
    Während
auf dem neunten Green die rosa Blütenblätter der Bougainvilleen seine Füße liebkosten,
merkte Dr. Daruwalla, wie sehr der schwachsinnige Obergärtner Inspector Dhar haßte.
Der Flegel stand noch immer lauernd neben ihm und hatte seine diebische Freude daran,
daß Dhar, der lediglich in die Rolle eines Polizeiinspektors geschlüpft war, diese
jetzt unversehens in unmittelbarer Nähe einer echten Leiche spielen mußte. Da erinnerte
sich Dr. Daruwalla daran, wie er selbst reagiert hatte, als er erfuhr, daß der arme
Mr. Lal Geiern zum Opfer gefallen war. Auch er hatte die Situation höchst ergötzlich
gefunden! Was hatte er Dhar ins Ohr geflüstert? »Das fällt in Ihr Fach, Inspector.«
Jetzt bereute Farrokh, daß er das gesagt hatte.
    [64]  Dr. Daruwalla
hatte ein schlechtes Gewissen, weil er über das Land seiner Geburt ebensowenig wußte
wie über seine Wahlheimat und weil er sich in Bombay und in Toronto gleichermaßen
fehl am Platz fühlte; aber noch mehr quälte ihn all das an sich selbst, was ihn
mit dem gemeinen Volk gleichsetzte – mit jedem x-beliebigen Trottel, dem gewöhnlichen
Mann auf der Straße: kurz, seinen Mitmenschen. Peinlich genug, daß er sich weder
in Kanada noch in Indien als Bürger engagierte – wobei diese Passivität von unzureichender
Kenntnis und Erfahrung herrührte –, doch sich auch noch dabei ertappen zu müssen,
daß

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