Zirkuskind
Kleinigkeit für die Hollywood-Diva, vergleichbar etwa mit dem Preis des obligaten
Kokosnußöls in ihrem Badewasser – so jedenfalls lautete die Geschichte. Ein Baby,
zumal unehelich und noch dazu mit einem indischen Vater, hätte ihre Karriere gefährdet.
Dhars Angaben zufolge bezahlte die Mutter den Polizeiinspektor dafür, daß er die
volle Verantwortung für das Kind übernahm. Es war reichlich Geld im Spiel, so daß
sich der Inspektor zur Ruhe setzen konnte. Zweifellos gab er seine umfassenden Kenntnisse
über die Arbeit der Polizei, den Umgang mit Schmiergeldern eingeschlossen, an seinen
Sohn weiter. In seinen Filmen war Inspector Dhar stets über jede Bestechung erhaben.
Sämtliche echten Polizeiinspektoren von Bombay schworen, [67] wenn sie wüßten, wer
Dhars Vater sei, würden sie ihm den Hals umdrehen. Und die echten Polizisten machten
auch keinen Hehl daraus, daß sie Inspector Dhar ebenfalls mit Freuden den Hals umdrehen
würden.
Zu Dr. Daruwallas
Schande wies die Geschichte eine Menge Lücken auf, angefangen bei dem unbekannten
Film. In Bombay werden mehr Filme produziert als in Hollywood. Aber im Jahr 1949
wurde in Maharashtra kein einziger amerikanischer Film gedreht – wenigstens keiner,
der je in die Kinos gelangte. Und verdächtigerweise existierten keine Akten über
die Polizisten, die für den Schutz der ausländischen Filmteams zuständig gewesen
waren, obwohl es über andere Jahre umfangreiches Aktenmaterial gab, was den Schluß
nahelegte, daß die Unterlagen von 1949 aus den Archiven entfernt worden waren. Ohne
Zweifel war jemand bestochen worden. Aber warum? Was den angeblichen ehemaligen
Hollywood-Star betraf, so hätte man eine Amerikanerin, die in Bombay einen Film
drehte, auch dann für einen Hollywood-Star gehalten, wenn sie eine unbekannte, miserable
Schauspielerin gewesen und der Film nie in den Verleih gelangt wäre.
Wenn Inspector Dhar
in Interviews auf die Nationalität seiner Mutter angesprochen wurde, reagierte er
bestenfalls gleichgültig; dem Vernehmen nach war er nie in den Vereinigten Staaten
gewesen. Und obwohl er angeblich perfekt und akzentfrei Englisch sprach, behauptete
er, er spreche lieber Hindi und gehe nur mit indischen Frauen aus.
Ein paarmal hatte
Dhar bei solchen Anlässen eine leise Verachtung für seine Mutter – wer immer sie
war – durchblicken lassen. Doch gegenüber seinem Vater bekundete er eine heftige,
unerschütterliche Anhänglichkeit, die sich darin zeigte, daß er das Geheimnis seiner
Identität eisern hütete. Gerüchten zufolge trafen sich die beiden nur in Europa!
Zu Dr. Daruwallas
Verteidigung muß gesagt werden, daß [68] die unwahrscheinlichen Elemente seiner Dhar-Biographie
der Wirklichkeit entsprachen. Der schwache Punkt waren die Lücken, für die keine
Erklärungen geliefert wurden. Inspector Dhar drehte seinen ersten Film mit Anfang
zwanzig, aber wo war er als Kind gewesen? In Bombay wäre ein derart gutaussehender
Mann als Junge nicht unbemerkt geblieben, und als Teenager erst recht nicht; außerdem
war seine Haut einfach zu hell – nur in Europa oder Nordamerika hätte man ihn als
farbig bezeichnet. Sein dunkelbraunes Haar war fast schwarz, ebenso seine anthrazitgrauen
Augen. Falls er wirklich einen indischen Vater hatte, sah man davon nichts, da dem
Sohn jeder indische Einschlag fehlte.
Allgemein hieß es,
die Mutter sei möglicherweise eine blauäugige Blondine gewesen und der Polizeiinspektor
habe in puncto Rasse lediglich neutralisierend gewirkt und ansonsten die Leidenschaft
für Mordfälle beigesteuert. Trotzdem beschwerte sich ganz Bombay darüber, daß der
Kinokassenmagnet in den heißgeliebten Hindi-Filmen für alle Welt aussah wie ein
ganz normaler Nordamerikaner oder Europäer. Daß es keine glaubhafte Erklärung für
seine helle Haut gab, leistete dem Gerücht Vorschub, Dhar sei das Kind von Farrokhs
Bruder, der eine Österreicherin geheiratet hatte. Und da allgemein bekannt war,
daß Dr. Daruwalla mit der Schwester dieser Europäerin verheiratet war, ging außerdem
das Gerücht, daß Dhar der Sohn des Doktors sei.
Der Doktor reagierte
gelangweilt auf diese Unterstellung, obwohl es noch viele Duckworthianer gab, die
sich daran erinnern konnten, Dr. Daruwallas Vater manchmal im Sommer in Begleitung
eines hellhäutigen Jungen gesehen zu haben. Und dieser verdächtig weiße Junge sollte
der Enkel des alten Daruwalla gewesen sein?! Aber Farrokh wußte, daß man solche
Unterstellungen am besten kategorisch
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