Zirkuskind
zurückwies und sich nicht weiter dazu äußerte.
[69] Es ist allgemein
bekannt, daß viele Inder eine helle Haut für schön halten; außerdem war Inspector
Dhar auf eine herbe Art attraktiv. Daß er sich jedoch weigerte, in der Öffentlichkeit
englisch zu reden – und wenn, dann mit deutlich übertriebenem Hindi-Akzent –, hielten
die meisten Leute für geradezu pervers. Gerüchten zufolge sprach er im Privatleben
ein akzentfreies Englisch, aber woher sollte man das wissen? Inspector Dhar gab
nur selten Interviews, in denen er ausschließlich Fragen über seine »Kunst« zuließ.
Sein Privatleben war tabu. (Dabei war Dhars »Privatleben« das einzige Thema, das
überhaupt jemanden interessierte.) Wenn ihn irgendwelche Pressefritzen in die Enge
trieben – etwa in einem Nachtclub, einem Restaurant oder bei einem Fototermin anläßlich
der Premiere eines neuen Inspector-Dhar-Films –, parierte der Schauspieler mit seinem
berühmten höhnischen Lächeln. Egal welche Frage man ihm stellte, er antwortete entweder
mit einem Scherz oder sagte, ohne auf die Frage einzugehen, auf Hindi oder auf Englisch
mit aufgesetztem Akzent: »Ich bin nie in den Vereinigten Staaten gewesen. Meine
Mutter interessiert mich nicht. Wenn ich einmal Kinder habe, werden es indische
Kinder sein. Die sind am klügsten.«
Dhar konnte jedem
Blick standhalten und ihn erwidern; er konnte auch das Auge jeder Kamera manipulieren.
Besorgniserregend war sein zunehmend bulliges Aussehen. Bis Mitte Dreißig hatte
er deutlich ausgeprägte Muskeln gehabt und einen flachen Bauch. Lag es am Alter,
oder hatte sich Dhar den in Bombay bei den Idolen des Nachmittagskinos üblichen
Erfolgsmaßen angepaßt – oder war vielleicht seine Vorliebe für das Gewichtheben,
gepaart mit einem (wie er behauptete) beträchtlichen Fassungsvermögen für Bier daran
schuld –, jedenfalls drohte seine Korpulenz seinen Ruf als zäher Bursche zunichte
zu machen. In Bombay galt er als gut genährter, zäher Bursche. Seine Kritiker nannten
ihn gern Bierbauch, aber nur hinter [70] seinem Rücken; schließlich war Dhar dafür,
daß er auf die Vierzig zuging, nicht schlecht in Form.
Dr. Daruwallas Drehbücher
wichen von dem üblichen masala der Hindi-Filme ab. Sie waren sentimental und zugleich geschmacklos, doch die Vulgarität
war eindeutig westlicher Prägung – die Gemeinheit des Helden wurde als Tugend gewertet
(Dhar war jeweils gemeiner als die meisten Schurken) –, und ihre Sentimentalität
erinnerte an kitschigen Pennälerexistentialismus (Einsamkeit konnte Dhar nichts
anhaben, da er sich ohnehin von allen distanzierte). Es gab symbolische Hinweise
auf das indische Kino, das Dr. Daruwalla mit der spöttischen Ironie eines Außenstehenden
betrachtete: Nicht selten stiegen Götter aus dem Himmel herab (meist um Inspector
Dhar mit Insiderinformationen zu versorgen), und alle Bösewichte waren teuflische
(wenn auch unfähige) Gesellen. Schurkereien wurden im allgemeinen von Kriminellen
und der Mehrheit der Polizeibeamten begangen. Sexuelle Eroberungen waren Inspector
Dhar vorbehalten, dessen Heldenmut sich innerhalb und außerhalb der gesetzlichen
Grenzen bewegte. Was die eroberten Frauen betraf, so blieb Dhar ihnen gegenüber
weitgehend gleichgültig, ein verdächtig europäischer Zug.
Die Musik bestand
aus der in Hindi-Filmen üblichen Mischung: Mädchen, die zum Lärm von Gitarren, Tablas,
Violinen und Winas im Chor aahten und oohten. Und gelegentlich »sang« Inspector
Dhar, trotz seines tiefverwurzelten Zynismus, lippensynchron einen Song. Obwohl
er das ganz gut machte, ist der Text es nicht wert, wiederholt zu werden – er knurrte
dann Zeilen wie: »Baby, ich schwör dir, du wirst es nicht bereuen!« Im Hindi-Kino
werden solche Lieder auf Hindi gesungen, doch auch in diesem Punkt waren die Inspector-Dhar-Filme
bewußt gegen den Strich konzipiert. Dhar sang seine Songs auf englisch, mit seinem
erbärmlichen Hindi-Akzent. Selbst der Titelsong, der von einem Mädchenchorus gesungen
und in jedem [71] Inspector-Dhar-Film mindestens zweimal wiederholt wurde, war in
englisch. Auch den verabscheute das Publikum; auch der war ein Hit. Obwohl Dr. Daruwalla
ihn geschrieben hatte, krümmte er sich, sooft er ihn hörte.
Und ihr sagt,
Inspector Dhar
ist auch bloß sterblich –
das sagt ihr, das sagt ihr!
Für uns sieht er aus wie ein Gott!
Und ihr sagt,
das ist
ein kleiner Regenschauer –
das sagt ihr, das sagt ihr!
Für uns sieht es aus wie der Monsun!
Obwohl
Weitere Kostenlose Bücher