Zirkuskind
Tata Zwo dem Ruf der Familie in puncto Mittelmäßigkeit gerecht wurde. Dr. Daruwallas
schlichte Bitte, ihm die Ergebnisse von Madhus HIV -Test möglichst schnell mitzuteilen,
wurde mit Mißtrauen und Herablassung quittiert. Gleich zu Beginn hatte sich Dr.
Tatas Sekretär, ziemlich arrogant, als Mister Subash vorgestellt.
»Sie wollen die
Sache also schnell erledigt haben?« fragte Mr. Subash Dr. Daruwalla. »Ist Ihnen
klar, daß Sie dafür mehr zahlen müssen?«
»Natürlich!« sagte
Farrokh.
»Normalerweise kostet
der Test vierhundert Rupien«, informierte Mr. Subash Dr. Daruwalla. »Wenn es schnell
gehen soll, kostet Sie das tausend Rupien. Oder bezahlt der Patient?«
»Nein, ich bezahle.
Und ich möchte die Ergebnisse so schnell wie möglich«, entgegnete Farrokh.
»Normalerweise dauert
es zehn Tage bis zwei Wochen«, erläuterte Mr. Subash. »Am praktischsten ist es,
wenn man einen ganzen Schwung beisammen hat. Wir warten normalerweise, bis wir vierzig
Blutproben haben.«
»Aber ich möchte
in diesem Fall nicht warten müssen«, antwortete Dr. Daruwalla. »Deshalb rufe ich
ja an. Ich weiß, wie das normalerweise abläuft.«
»Wenn der ELISA positiv ist, verifizieren wir die
Ergebnisse normalerweise noch durch einen Western Blot. Beim ELISA kommen nämlich viele falsche positive
Befunde heraus, müssen Sie wissen«, erklärte Mr. Subash.
»Das weiß ich«,
entgegnete Dr. Daruwalla. »Wenn Sie einen positiven ELISA bekommen, schicken Sie das Serum
bitte weiter zum Western Blot.«
»Dadurch verlängert
sich aber die Gesamttestzeit für einen positiven Test«, erklärte Mr. Subash.
»Weiß ich auch«,
antwortete Dr. Daruwalla.
[602] »Wenn der Test
negativ ist, bekommen Sie die Ergebnisse in zwei Tagen«, fuhr Mr. Subash fort. »Wenn
er allerdings positiv ist…«
»… dauert es länger,
ich weiß!« schrie Dr. Daruwalla in den Hörer. »Bitte lassen Sie den Test sofort
auswerten. Deshalb rufe ich schließlich an.«
»Das entscheidet
einzig und allein Dr. Tata«, sagte Mr. Subash. »Aber natürlich werde ich ihm Ihre
Wünsche ausrichten.«
»Danke«, antwortete
Dr. Daruwalla.
»Möchten Sie sonst
noch was?« fragte Mr. Subash.
Farrokh hatte Tata
Zwo wirklich noch etwas fragen wollen, aber er hatte vergessen, was. Bestimmt würde
es ihm wieder einfallen.
»Bitte richten Sie
Dr. Tata nur aus, er möchte mich anrufen«, antwortete Farrokh.
»Und welche Angelegenheit
wollen Sie mit Dr. Tata erörtern?« fragte Mr. Subash.
»Es handelt sich
um ein Gespräch unter Ärzten«, sagte Dr. Daruwalla.
»Ich werde es ihm
ausrichten«, sagte Mr. Subash gereizt.
Dr. Daruwalla beschloß,
sich nie wieder über Ranjits einfältige Heiratsbemühungen zu beklagen. Ranjit war
ein fähiger Mann, und er war höflich. Außerdem hatte der Sekretär des Doktors unerschütterlich
an seiner Begeisterung für dessen Zwergenblutprojekt festgehalten. Niemand sonst
hatte Dr. Daruwallas genetische Studien je unterstützt, am allerwenigsten die Zwerge.
Allmählich ließ sogar seine eigene Begeisterung für das Projekt nach, wie er zugeben
mußte.
Der ELISA -Test zum Nachweis des HIV -Antikörpers war im Vergleich zu
Farrokhs genetischen Untersuchungen recht einfach, weil letztere an Zellen (und
nicht am Serum) vorgenommen werden mußten. Und das bedeutete, daß man das Vollblut
hätte einschicken und unter Zusatz von gerinnungshemmenden [603] Mitteln bei Zimmertemperatur
transportieren müssen. Blutproben konnten zwar Landesgrenzen überqueren, aber dafür
wäre ein enormer Papierkrieg erforderlich gewesen. Solche Proben wurden normalerweise
auf Trockeneis transportiert, damit die Proteine erhalten blieben. Doch bei dieser
genetischen Studie wäre es zu riskant gewesen, Zwergenblut aus Bombay nach Toronto
zu schicken, denn sehr wahrscheinlich wären die Zellen abgestorben, bevor sie in
Kanada ankamen.
Dieses Problem hatte
Dr. Daruwalla mit Unterstützung der medizinischen Fakultät in Bombay gelöst. Er
ließ die Untersuchungen im dortigen Forschungslabor durchführen und von den optisch
sichtbar gemachten Befunden Diapositive herstellen. Er erhielt vom Labor fertige
Fotoserien von den Chromosomen, und diese Fotos ließen sich problemlos nach Toronto
mitnehmen. Aber das Zwergenblutprojekt war ins Stocken geraten. Über einen guten
Freund und Kollegen – er war ebenfalls orthopädischer Chirurg an der Kinderklinik
in Toronto – hatte Farrokh einen Genetiker von der Universität kennengelernt.
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