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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Dr. Daruwalla.
»Es ist nur eine Frage von Tagen, bis sie ihn schnappen!«
    » Sie schnappen«, verbesserte Inspector
Dhar den Doktor.
    »Egal, ihn oder
sie«, sagte Farrokh ungeduldig. »Der springende Punkt ist, daß die Polizei jetzt
weiß, nach wem sie suchen muß. Es wird keine weiteren Morde mehr geben.«
    »Ich möchte meinen,
siebzig sind auch genug«, sagte John D. Er konnte einen heute wirklich zur Weißglut
treiben, fand Dr. Daruwalla.
    »Also, was sind
das für Stücke?« fragte Farrokh verärgert.
    »Ich habe in diesem
Jahr nur zwei Hauptrollen«, antwortete John D. »Im Frühjahr in Osbornes Entertainer – da bin ich der Billy Rice –, und
im Herbst spiele ich den Friedrich Hofreiter in dem Schnitzler-Stück Das weite Land. «
    »Verstehe«, sagte
Farrokh, obwohl ihm das alles fremd war. Er wußte nur, daß John Daruwalla ein anerkannter
Bühnenschauspieler und das Zürcher Schauspielhaus ein anspruchsvolles Stadttheater
war, in dem sowohl klassische als auch moderne Stücke aufgeführt wurden. Nach Ansicht
des Doktors kamen Slapstickkomödien dort zu kurz, aber vielleicht wurden die ja
eher im Bernhard oder im Theater am Hechtplatz gespielt. Um das zu beurteilen, kannte
er Zürich viel zuwenig – eigentlich gar nicht.
    Der Doktor wußte
nur, was ihm sein Bruder Jamshed erzählt hatte, und Jamshed war kein erfahrener
Theatergänger – er [609]  besuchte nur ab und zu eine Vorstellung, um sich John D. anzusehen.
Außer Jamsheds möglicherweise spießigen Ansichten wußte Farrokh nur das wenige,
was er aus dem zurückhaltenden Dhar herausquetschen konnte. Er wußte nicht, ob zwei
Hauptrollen im Jahr genug waren oder ob John D. bewußt nur diese beiden großen Rollen
angenommen hatte. Dhar berichtete weiter, daß er außerdem noch kleinere Rollen in
einem Dürrenmatt- und in einem Brecht-Stück spielen würde. Vor einem Jahr hatte
er mit einem Drama von Max Frisch sein Regiedebüt gegeben und den Volpone in dem
gleichnamigen Ben-Jonson-Stück gespielt. Im nächsten Jahr hoffe er, bei Gorkis Wassa Schelesnowa Regie zu führen, sagte John D.
    Dr. Daruwalla fand
es schade, daß es sich um lauter deutschsprachige Produktionen handelte.
    Abgesehen von seinem
überwältigenden Erfolg als Inspector Dhar hatte John D. nie in einem Film mitgewirkt
und sich auch nie um eine Filmrolle beworben. Dr. Daruwalla fragte sich, ob es Dhar
an Ehrgeiz fehlte, weil er es für einen Fehler hielt, daß sich dieser sein perfektes
Englisch nicht zunutze machte. Aber John D. verabscheute England und weigerte sich,
einen Fuß in die Vereinigten Staaten zu setzen. Nach Toronto wagte er sich nur,
wenn er Farrokh und Julia besuchte. Nicht einmal nach Deutschland wollte er fahren,
um für eine Filmrolle vorzusprechen!
    Viele Gastschauspieler
am Zürcher Schauspielhaus kamen aus Deutschland – Katharina Thalbach zum Beispiel.
Jamshed hatte Farrokh einmal erzählt, John D. habe eine romantische Liaison mit
der deutschen Schauspielerin gehabt, aber dieser stritt das ab. Dhar hatte nie auf
einer deutschen Bühne gespielt, und auch am Zürcher Schauspielhaus gab es (soweit
Farrokh wußte) niemanden, mit dem der Schauspieler eine »romantische Liaison« gehabt
hätte. Dhar war mit der berühmten Maria Becker befreundet, aber das war eine rein
platonische [610]  Freundschaft. Maria Becker wäre wohl auch ein bißchen zu alt für
John D. gewesen. Außerdem hatte Jamshed berichtet, er habe John D. in der Kronenhalle
beim Abendessen mit Christiane Hörbiger gesehen, die ebenfalls sehr bekannt war
– und vom Alter her eher zu John D. gepaßt hätte. Aber dieser gemeinsame Restaurantbesuch
hatte vermutlich nicht mehr zu bedeuten, als wenn man John D. mit irgendeinem anderen
Ensemblemitglied des Schauspielhauses gesehen hätte. Er war auch mit Fritz Schediwy,
Peter Ehrlich und Peter Arens befreundet. Mehr als einmal wurde er mit der hübschen
Eva Rieck in einem Restaurant gesehen. Jamshed hatte ihn auch oft mit dem ehemaligen
Direktor, Gerd Heinz, gesehen – und ebenso häufig mit dem avantgardistischen Bürgerschreck
Matthias Frei.
    Als Schauspieler
machte John D. um die Avantgarde einen Bogen; doch offensichtlich war er mit einem
ihrer großen Vertreter in Zürich befreundet. Matthias Frei war Regisseur und gelegentlicher
Stückeschreiber, jemand, der bewußt im Untergrund arbeitete und unverständliches
Zeug schrieb – jedenfalls nach Dr. Daruwallas Ansicht. Frei war ungefähr in Farrokhs
Alter, sah aber älter aus, mehr

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