Zirkuskind
irreführend, weil dieser daraus folgerte, daß der Doktor seiner Freundschaft
mit Gordon Macfarlane weniger Bedeutung beimaß als seiner Empörung über die schlechte
Behandlung, die er als Inder in Toronto erlebt hatte. Das war deshalb besonders
ungeschickt, weil Farrokh lediglich hatte deutlich machen wollen, daß diese üble
Geschichte seine Freundschaft mit einem Homosexuellen, dem Diskriminierungen anderer
Art nicht fremd waren, weiter gefestigt hatte.
Es war
an einem Freitag im Frühjahr gewesen. Farrokhs Kollegen hatten ihre Klinikpraxen
zumeist am frühen Nachmittag verlassen, weil sie in ihre Wochenendhäuschen fuhren,
aber die Daruwallas genossen ihre Wochenenden in Toronto – ihr zweites Zuhause war Bombay. Bei
Farrokh war ein Termin ausgefallen, also konnte er früher gehen – ansonsten hätte
er Macfarlane gebeten, ihn mitzunehmen, oder sich ein Taxi gerufen. Mac verbrachte
seine Wochenenden ebenfalls in Toronto und hielt am Freitag ziemlich lange Sprechstunde.
Da der
Berufsverkehr noch nicht eingesetzt hatte, beschloß Farrokh, ein Stück zu Fuß zu
gehen und dann irgendwo in ein Taxi zu steigen, wahrscheinlich vor dem Museum. Die
U-Bahn mied er seit mehreren Jahren, seit er dort wegen seiner Hautfarbe einen unangenehmen
Zwischenfall erlebt hatte. Freilich wurde er manchmal aus vorüberfahrenden Autos
angepöbelt. Die Leute riefen: »Dreckiger Pakistani!« oder »Verdammter Ausländer!«
oder »Babu!« oder »Geh doch nach Hause!« Als Parsen hatte ihn allerdings nie jemand
beschimpft, denn in Toronto wußte kaum [785] jemand, was ein Parse war. Farrokhs hellbraune
Hautfarbe und sein pechschwarzes Haar machten es den Leuten schwer, ihn einzuordnen;
er war nicht so leicht als Inder zu erkennen wie viele seiner Landsleute. Ein paarmal
wurde er als Araber abgekanzelt, zweimal als Jude. Das lag an seinen persischen
Vorfahren; dem Aussehen nach hätte er ohne weiteres aus dem Mittleren Osten stammen
können. Aber egal, wer ihn anpöbelte, die Betreffenden wußten, daß er fremd hier
war, daß er einer anderen Rasse angehörte.
Einmal
war Farrokh sogar als Itaker beschimpft worden. Damals fragte er sich, wie dumm
jemand sein mußte, um ihn für einen Italiener zu halten. Inzwischen wußte er, daß
sich die Schreihälse nicht darüber aufregten, daß er aus einem bestimmten Land kam,
sondern für sie zählte nur, daß er keiner der Ihren war. Aber meistens zeigten die
Seitenhiebe, daß er schlicht und undifferenziert als »farbiger Einwanderer« wahrgenommen
wurde. Er hatte den Eindruck, daß in Kanada das Vorurteil gegenüber der Eigenschaft
›Einwanderer‹ genauso schwer wog wie das gegenüber der Hautfarbe.
Nach einer
Episode mit drei halbwüchsigen Burschen fuhr Farrokh nie wieder mit der U-Bahn.
Anfangs hatten sie gar nicht so bedrohlich gewirkt – eher zu Unfug aufgelegt. Etwas
bedrohlich war nur, daß sie sich absichtlich ganz in seine Nähe setzten, obwohl
genügend andere Plätze frei waren. Einer saß rechts, einer links von ihm, der dritte
ihm gegenüber. Der Junge auf der linken Seite stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Wir
haben eine Wette abgeschlossen«, sagte er. »Was sind Sie?«
Später
wurde Dr. Daruwalla klar, daß er sie nur deshalb nicht als bedrohlich empfunden
hatte, weil sie Schulblazer und -krawatten trugen. Nach dem Zwischenfall hätte er
sie bei ihrer Schule melden können, tat es aber nicht.
»Ich habe
Sie gefragt, was Sie sind?« wiederholte der Junge. Erst in dem Augenblick fühlte
sich Farrokh bedroht.
[786] »Ich
bin Arzt«, antwortete Dr. Daruwalla.
Die Jungen
rechts und links sahen ihn ausgesprochen feindselig an; schließlich rettete ihn
der Junge gegenüber. »Mein Vater ist auch Arzt«, bemerkte er stumpfsinnig.
»Willst
du auch Arzt werden?« fragte Farrokh.
Die zwei
anderen standen auf und zogen den dritten mit.
»Scheißkerl«,
sagte der erste Junge zu Farrokh. Aber der Doktor wußte, daß diese Bombe harmlos
war – sie war bereits entschärft.
Danach
fuhr er nie wieder mit der U-Bahn. Doch im Anschluß an sein schlimmstes Erlebnis
erschien ihm diese Episode harmlos. Jene zweite Konfrontation hatte Farrokh so aus
der Fassung gebracht, daß er anschließend nicht mehr wußte, ob der Taxifahrer vor
oder nach der Kreuzung University Avenue und Gerrard Street an den Randstein gefahren
war. Jedenfalls hatte Farrokh gerade die Klinik verlassen und hing seinen Gedanken
nach. Merkwürdig war – daran erinnerte er sich noch –, daß sich bereits ein
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