Zirkuskind
Fahrgast
im Taxi befand und daß dieser auf dem Beifahrersitz saß. Doch der Fahrer sagte:
»Lassen Sie sich durch ihn nicht stören. Das ist nur ein Freund, der nichts zu tun
hat.«
»Ich bin
kein Fahrgast«, bestätigte der Freund des Fahrers.
Später
erinnerte sich Farrokh nur noch, daß es kein Metro- und kein Beck-Taxi gewesen war
– die zwei Taxiunternehmen, die er meistens anrief. Wahrscheinlich war es ein sogenanntes
Zigeunertaxi.
»Wo wollen
Sie denn hin?« fragte der Fahrer Dr. Daruwalla, während er langsam neben ihm herfuhr.
»Nach
Hause«, antwortete Farrokh. (Es erschien ihm sinnlos hinzuzufügen, daß er eigentlich
ein Stück zu Fuß hatte gehen wollen. Hier war ein Taxi. Warum sollte er es nicht
nehmen?)
»Und wo
ist ›zu Hause‹?« fragte der Freund auf dem Beifahrersitz.
[787] »Russell
Hill Road, nördlich der St. Clair Avenue… gleich hinter der Lonsdale Road«, antwortete
der Doktor. Inzwischen war er stehengeblieben – das Taxi ebenfalls. »Eigentlich
wollte ich noch Bier einkaufen… und dann zu Fuß nach Hause gehen«, fügte Farrokh
hinzu.
»Steigen
Sie ein, wenn Sie wollen«, sagte der Fahrer.
Dr. Daruwalla
kamen keine Bedenken, bis er auf dem Rücksitz Platz genommen hatte und das Taxi
losfuhr. Der Freund auf dem Beifahrersitz rülpste einmal lautstark, und der Fahrer
lachte. Die Sonnenblende am Beifahrersitz war heruntergeklappt, und die Tür des
Handschuhfachs fehlte. Farrokh wußte nicht mehr genau, ob sich die Taxilizenz normalerweise
an einer dieser Stellen befand oder an der Plexiglastrennscheibe zwischen Vorder-
und Rücksitzen. (Die Trennscheibe an sich war schon ungewöhnlich; die meisten Taxis
in Toronto hatten keine solchen Dinger.) Jedenfalls war nirgendwo im Auto eine Lizenz
zu sehen, und das Taxi fuhr bereits zu schnell, als daß Dr. Daruwalla noch hätte
aussteigen können. Vielleicht an einer Ampel, dachte er. Aber eine Zeitlang standen
alle Ampeln auf Grün, und die erste rote, an die sie kamen, überfuhr der Fahrer.
Und da drehte sich der Freund des Fahrers auf dem Beifahrersitz um und nahm Farrokh
ins Visier.
»Also,
wo sind Sie wirklich zu Hause?« fragte er den Doktor.
»In der
Russell Hill Road«, wiederholte Dr. Daruwalla.
»Zuvor,
du Arschloch«, sagte der Fahrer.
»Ich bin
in Bombay geboren, habe Indien aber als Teenager verlassen. Ich bin kanadischer
Bürger«, sagte Farrokh.
»Hab ich’s
dir nicht gesagt«, sagte der Fahrer zu seinem Freund. »Dann wollen wir ihn mal nach
Hause bringen«, meinte der Freund.
Der Fahrer
warf einen Blick in den Rückspiegel und machte mitten auf der Straße plötzlich kehrt,
so daß Farrokh gegen die Tür geschleudert wurde.
[788] »Wir
werden dir schon zeigen, wo dein Zuhause ist, Babu«, sagte der Fahrer.
Dr. Daruwalla
hätte zu keinem Zeitpunkt entkommen können. Wenn sie im dichten Verkehr langsam
vorankrochen oder an einer roten Ampel hielten, hatte er Angst, es zu versuchen.
Sie fuhren ziemlich schnell, als der Fahrer plötzlich auf die Bremse trat. Der Kopf
des Doktors knallte an die Plexiglasscheibe. Als der Fahrer wieder beschleunigte,
drückte es ihn gegen die Rückenlehne. Farrokh spürte die spannungsgeladene Atmosphäre;
als er sachte seine geschwollene Augenbraue berührte, rann ihm bereits Blut ins
Auge. Vier Stiche, vielleicht auch sechs, meldeten ihm seine Finger.
Der Stadtteil
Little India ist, wie der Name sagt, recht klein; er erstreckt sich entlang der
Gerrard Street von der Coxwell Avenue bis zur Hiawatha Road – manche Leute würden
vielleicht sagen, bis zur Woodfield Road, doch alle wären sich einig, daß dort,
wo die Greenwood Avenue beginnt, Little India zu Ende ist. Und dabei leben auch
noch eine Menge Chinesen in Little India. Das Taxi hielt vor Ahmads Lebensmittelladen
an der Ecke Gerrard und Coxwell an. Wahrscheinlich war es kein Zufall, daß sich
schräg gegenüber die Büros der Canadian Ethnic Immigration Services befanden, einer
Hilfsorganisation für farbige Einwanderer. Vor dem Geschäft zerrte der Freund des
Fahrers Farrokh aus dem Auto. »Jetzt bist zu Hause, und da solltest du lieber auch
bleiben«, sagte der Freund zu Dr. Daruwalla.
»Am besten
gehst du heim nach Bombay, Babu«, fügte der Fahrer hinzu.
Als das
Taxi davonfuhr, konnte der Doktor es nur mit einem Auge deutlich sehen. Er war so
erleichtert, daß er die üblen Kerle los war, daß er kaum auf die besonderen Kennzeichen
des Wagens achtete. Er war rot, vielleicht auch rot und weiß. Sofern Farrokh
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