Zirkuskind
benennen, das Ihrer Verliebtheit ein
Ende machte?« fragte Farrokh. »Ist irgend etwas passiert, gab es einen Vorfall,
der Sie überzeugt hat? Was hat Sie zu dem Entschluß bewogen, dieser Leidenschaft
zu widerstehen und Priester zu werden?« Dr. Daruwalla wußte genau, daß er um den
heißen Brei herumredete, aber irgendwo mußte er ja anfangen.
[777] »Ich
habe gesehen, daß Christus für mich existiert. Ich habe gesehen, daß mich Jesus
nie im Stich gelassen hat«, sagte der Missionar.
»Sie meinen,
Sie hatten eine Vision?« fragte Farrokh.
»In gewisser
Weise«, gab der Jesuit ausweichend zur Antwort. »Es war auf einem Tiefpunkt meiner
Beziehung zu Jesus. Und ich war zu einer ausgesprochen zynischen Entscheidung gelangt.
Mangel an Widerstand ist schon schlimm genug, aber Fatalismus ist schlimmer, weil
er an totale Resignation grenzt. Und ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich
absolut fatalistisch war.«
»Haben
Sie Christus denn nun wirklich gesehen oder nicht?« wollte der Doktor wissen.
»Eigentlich
war es nur eine Christusstatue«, gab der Missionar zu.
»Sie meinen,
sie war echt?« fragte Farrokh.
»Natürlich
war sie echt, sie stand hinten auf dem Parkplatz der Schule, in der ich unterrichtet
habe. Früher habe ich sie jeden Tag gesehen, sogar zweimal am Tag«, sagte Martin.
»Es war ein schlichter weißer Christus aus Stein in typischer Haltung.« Dabei drehte
der Glaubenseiferer auf dem Rücksitz des dahinrasenden Landrover seine beiden Handflächen
gen Himmel, offenbar um die Haltung des demütigen Bittstellers zu demonstrieren.
»Hört
sich wirklich geschmacklos an, Christus auf einem Parkplatz!« bemerkte Dr. Daruwalla.
»Die Statue
war auch kein großes Kunstwerk«, entgegnete der Jesuit. »Ich erinnere mich, daß
sie wiederholte Male übel zugerichtet wurde.«
»Tja,
warum wohl?«, murmelte Farrokh.
»Na ja,
wie dem auch sei, eines Abends blieb ich ziemlich lange in der Schule… ich habe
bei einem Schülertheater Regie geführt, bei irgend so einem Musical. Und dieser
Mann, von dem ich geradezu besessen war… der war auch noch da. Aber dann [778] sprang
sein Auto nicht an – er hatte eine fürchterliche Karre –, und er bat mich, ihn nach
Hause zu bringen.«
»Auweia«,
sagte Dr. Daruwalla.
»Meine
Gefühle für ihn hatten bereits nachgelassen, wie ich schon sagte, aber immun war
ich deshalb noch lange nicht«, gestand der Missionar. »Hier ergab sich plötzlich
eine Gelegenheit, und mir wurde schmerzlich bewußt, daß ich im Grund nur zuzugreifen
brauchte. Verstehen Sie, was ich meine?«
Dr. Daruwalla,
der an seine beunruhigende Nacht mit Madhu denken mußte, sagte: »Ja, natürlich weiß
ich das. Und was ist geschehen?«
»Das meine
ich, wenn ich sage, daß ich zynisch war«, sagte der Scholastiker. »Ich war so fatalistisch
eingestellt, daß ich beschloß, darauf einzugehen, wenn er auch nur den leisesten
Annäherungsversuch machen sollte. Den ersten Schritt würde ich nicht tun, aber ich
wußte, daß ich mich darauf einlassen würde.«
»Und haben
Sie? Hat er?« fragte der Doktor.
»Erst
mal konnte ich mein Auto nicht finden… es war ein riesiger Parkplatz«, erzählte
Martin. »Aber dann fiel mir ein, daß ich immer in Christi Nähe zu parken versuchte…«
»In der
Nähe der Statue, meinen Sie…«, unterbrach ihn Farrokh.
»Ja, natürlich,
in der Nähe der Statue. Ich hatte direkt davor geparkt«, erklärte der Jesuit. »Als
ich mein Auto endlich entdeckt hatte, war es so dunkel, daß ich die Statue nicht
sehen konnte, nicht einmal, als ich im Auto saß. Aber ich wußte genau, wo Christus
war. Es war ein eigenartiger Augenblick. Ich wartete darauf, daß mich dieser Mann
berührte, und gleichzeitig schaute ich die ganze Zeit in die Dunkelheit, genau auf
die Stelle, an der sich Jesus befand.«
»Und hat
der Kerl Sie berührt?« fragte Farrokh.
»Ich habe
die Scheinwerfer angemacht, bevor er Gelegenheit dazu hatte«, antwortete Martin
Mills. »Und da war Christus. [779] Er stand im Scheinwerferlicht leuchtend vor mir.
Er war genau dort, wo er meiner Überzeugung nach sein mußte.«
»Wo sollte
er denn sonst sein?« rief Dr. Daruwalla. »Laufen Statuen bei Ihnen zu Hause etwa
in der Gegend herum?«
»Sie spielen
das Erlebnis herunter, wenn Sie sich nur auf die Statue beschränken«, sagte der
Jesuit. »Die Statue war nur das Vehikel. Was ich gespürt habe, war die Gegenwart
Gottes. Ich habe auch ein Einssein mit Jesus gespürt, nicht mit der Statue.
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