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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ein
freiwilliger Helfer.«
    »Und was
ist mit den Kathetern?« fragte Farrokh. »Sie gehen doch sicher manchmal zu, die
Katheterkanäle in der Haut entzünden sich…« Seine Stimme verlor sich. Er überlegte,
ob man die Pfropfen auflösen konnte, indem man sie mit einem gerinnungshemmenden
Mittel durchspülte, aber Macfarlane ließ ihn den Gedanken gar nicht zu Ende denken.
    »Ich mache
dort nichts Medizinisches«, erklärte er ihm.
    [794]  »Aber
was machst du denn dann?« fragte Dr. Daruwalla.
    »An einem
Abend habe ich die ganze Wäsche gemacht«, antwortete Macfarlane. »An einem anderen
Telefondienst.«
    »Aber
das könnte doch jeder machen!« rief Farrokh.
    »Ja, jeder
freiwillige Helfer«, stimmte Mac ihm zu.
    »Hör zu.
Jemand hat einen Anfall, ein Patient, der an einer unkontrollierbaren Infektion
leidet«, begann Dr. Daruwalla. »Was machst du dann? Gibst du intravenös Valium?«
    »Ich rufe
den Arzt«, sagte Macfarlane.
    »Du willst
mich wohl auf den Arm nehmen!« sagte Dr. Daruwalla. »Und was ist mit den Ernährungsschläuchen?
Sie rutschen heraus. Und was dann? Hast du deine eigene Röntgeneinrichtung oder
mußt du die Leute in ein Krankenhaus bringen?«
    »Ich rufe
den Arzt«, wiederholte Macfarlane. »Es ist eine Sterbeklinik… die Menschen sind
nicht dort, um gesund zu werden. An einem Abend habe ich einem Patienten, der nicht
schlafen konnte, vorgelesen. In letzter Zeit habe ich für einen Mann, der mit seiner
Familie und seinen Freunden Kontakt aufnehmen will, Briefe geschrieben. Er möchte
sich von ihnen verabschieden, hat aber nie lesen und schreiben gelernt.«
    »Unglaublich!«
sagte Dr. Daruwalla.
    »Sie kommen
dorthin, um zu sterben, Farrokh. Wir versuchen ihnen zu helfen, damit fertigzuwerden.
Wir können ihnen nicht so helfen, wie wir den meisten unserer Patienten zu helfen
gewohnt sind«, erklärte Macfarlane.
    »Dann
gehst du also einfach nur hin, du erscheinst einfach«, begann Farrokh. »Du betrittst
das Gebäude… sagst jemandem, daß du da bist. Und was dann?«
    »Normalerweise
sagt mir eine Schwester, was zu tun ist«, sagte Mac.
    »Eine
Schwester sagt dem Arzt, was zu tun ist!« rief Dr. Daruwalla.
    »Allmählich
kapierst du es«, sagte Dr. Macfarlane.
    [795]  Farrokhs
Haus in der Russell Hill Road kam in Sicht, sein Zuhause. Es war weit weg von Bombay
und auch weit weg von Little India.
    »Also
ehrlich, wenn Sie wissen wollen, was ich denke«, sagte Martin Mills, der Farrokhs
Erzählung nur ein halbes dutzendmal unterbrochen hatte, »ich glaube, daß Sie ihren
armen Freund Macfarlane noch ganz verrückt machen. Offensichtlich mögen Sie ihn,
aber unter wessen Bedingungen? Unter Ihren Bedingungen, Ihren Bedingungen als Heterosexueller
und Arzt.«
    »Aber
das bin ich doch auch!« schrie Dr. Daruwalla. »Ich bin ein heterosexueller Arzt!«
Mehrere Leute auf dem Flughafen von Rajkot sahen etwas erstaunt drein.
    »Dreitausendachthundertvierundneunzig«,
sagte die Stimme über Lautsprecher.
    »Die entscheidende
Frage ist doch, ob Sie sich in einen unverkennbar homosexuellen Menschen hineinversetzen
könnten«, sagte der Missionar. »Keinen Arzt und niemanden, der auch nur das geringste
Verständnis für Ihre Probleme hat… jemanden, der sich nicht die Bohne für Rassismus
interessiert oder dafür, was mit farbigen Einwanderern geschieht, wie Sie sie nennen.
Sie bilden sich ein, daß Sie nicht homophob sind, aber wieviel Interesse könnten
Sie für so jemanden aufbringen?«
    »Warum
sollte ich mich denn für so jemanden interessieren?« schrie Farrokh außer sich.
    »Genau
darauf will ich bei Ihnen hinaus. Verstehen Sie, was ich meine?« fragte der Missionar.
»Sie sind ein typisches Beispiel für Homophobie.«
    »Dreitausendneunhundertneunundvierzig«,
dröhnte die Stimme aus dem Lautsprecher.
    »Und Sie
können nicht mal eine Geschichte zu Ende anhören«, warf Dr. Daruwalla dem Jesuiten
vor.
    »Gnade!«
sagte Martin Mills.
    [796]  Beim
Einsteigen ins Flugzeug gab es wieder eine Verzögerung, weil die Beamten das gefährliche
Schweizer Armeemesser des Scholastikers abermals in Verwahrung nahmen.
    »Hätten
Sie nicht daran denken können, das verdammte Messer in Ihre Tasche zu packen?« fragte
Dr. Daruwalla den Scholastiker.
    »In Anbetracht
Ihrer schlechten Laune denke ich nicht daran, solche Fragen zu beantworten«, entgegnete
Martin. Als sie endlich ins Flugzeug stiegen, sagte Martin: »Schauen Sie, wir machen
uns beide Sorgen um die Kinder, das weiß ich. Aber wir

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