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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wollte Sie nur sehen!«
    [823]  »Das
ist doch wohl nicht alles, was Sie heute vorhaben«, sagte Mrs. Dogar.
    »Ganz
gewiß nicht!« sagte Inspector Dhar, brachte jedoch nicht den Mut auf, ihre Hand
zu drücken. Sie fühlte sich überall so trocken und kühl an, ihre Berührung so leicht,
aber gleichzeitig war alles an ihr sehr hart.
    »Vor zwanzig
Jahren habe ich versucht, mich an Sie heranzumachen«, gab Rahul zu.
    »Das war
wahrscheinlich zu subtil für mich. Zumindest ist es mir entgangen«, bemerkte John
D.
    »Im Hotel
Bardez hat man mir gesagt, Sie würden in einer Hängematte auf dem Balkon schlafen«,
erzählte Rahul. »Der einzige Körperteil, der sich außerhalb des Moskitonetzes befand,
war Ihr Fuß. Ich habe Ihre große Zehe in den Mund genommen. Ich habe daran gelutscht…
genauer gesagt, ich habe hineingebissen. Aber das waren nicht Sie. Es war Dr. Daruwalla.
Es hat mich so geekelt, daß ich es nie wieder versucht habe.«
    Mit diesem
Gesprächsverlauf hatte Dhar nicht gerechnet. Sein Repertoire an Dialogen beinhaltete
keine Stellungnahme zu dieser interessanten Geschichte, so daß er nicht wußte, was
er sagen sollte. Doch da rettete ihn die Band, die zu einer schnelleren Nummer ansetzte.
Scharenweise verließen die Gäste die Tanzfläche, unter ihnen auch Nancy und Mr.
Dogar. Nancy begleitete den alten Herrn an seinen Tisch. Bis sie ihn auf seinen
Stuhl verfrachtet hatte, war er ziemlich außer Atem. »Wer sind Sie, meine Liebe?«
konnte er sie gerade noch fragen.
    »Mrs.
Patel«, antwortete Nancy.
    »Aha«,
sagte der alte Herr. »Und Ihr Mann…« Mr. Dogar meinte natürlich: Was macht er beruflich? Er wollte wissen: Was
für ein Staatsbeamter ist er?
    »Mein
Mann ist Mr. Patel«, erklärte Nancy. Damit wandte sie sich von ihm ab und kehrte
möglichst unauffällig an den Tisch der Daruwallas zurück.
    [824]  »Ich
glaube nicht, daß sie mich erkannt hat«, berichtete Nancy, »aber ich konnte sie
einfach nicht ansehen. Sie sieht noch genauso aus, aber uralt.«
    »Tanzen sie jetzt?« fragte Dr. Daruwalla. »Und reden sie auch?«
    »Sie tanzen
und reden – mehr weiß ich nicht«, antwortete ihm Nancy. »Ich konnte sie einfach
nicht ansehen«, wiederholte sie.
    »Ist schon
gut, Herzchen«, sagte der Kommissar. »Du brauchst nichts mehr zu tun.«
    »Ich möchte
dabeisein, wenn du sie schnappst, Vijay«, sagte Nancy zu ihrem Mann.
    »Wer weiß,
vielleicht schnappen wir sie an einem Ort, wo du nicht dabeisein möchtest«, entgegnete
der Detective.
    »Bitte,
laß mich dabeisein«, sagte Nancy. »Ist mein Reißverschluß zu?« fragte sie plötzlich.
Sie drehte sich zur Seite, so daß Julia ihren Rücken sehen konnte.
    »Er ist
bis obenhin zu, meine Liebe«, beruhigte sie Julia.
    Mr. Dogar,
der allein an seinem Tisch saß, stürzte ein Glas Champagner hinunter und versuchte
wieder zu Atem zu kommen, während Mr. Sethna ihn mit Horsd’œuvres versorgte. Mrs.
Dogar und Dhar tanzten in dem Teil des Ballsaals, den Mr. Dogar nicht überblicken
konnte.
    »Es gab
eine Zeit, in der ich Sie begehrt habe«, eröffnete Rahul John D. »Sie waren ein
wunderschöner Junge.«
    »Ich begehre
Sie noch immer«, erklärte ihr Dhar.
    »Wie es
scheint, begehren Sie alle Frauen«, meinte Mrs. Dogar. »Wer war diese Stripperin?«
fragte sie. Auch dafür hatte er keinen Text.
    »Eine
Stripperin eben«, antwortete Dhar.
    »Und wer
ist die dicke Blonde?« fragte ihn Rahul. Darauf hatte Dr. Daruwalla ihn vorbereitet.
    »Das ist
eine alte Geschichte«, antwortete der Schauspieler. »Manche Leute können einfach
nicht loslassen.«
    [825]  »Sie
können sich die Frauen aussuchen, auch jüngere Frauen«, meinte Mrs. Dogar. »Was
wollen Sie mit mir?« Damit war ein Punkt im Dialog erreicht, vor dem der Schauspieler
Angst hatte, weil er ihm einen Glauben an Farrokhs Drehbuch abverlangte, der sich
in der Größenordnung eines Quantensprungs bewegte. Tatsächlich hatte der Schauspieler
wenig Zutrauen zu seiner nächsten Zeile.
    »Ich muß
unbedingt etwas wissen«, sagte Dhar zu Rahul. »Besteht ihre Vagina wirklich aus
dem, was früher Ihr Penis war?«
    »Werden
Sie nicht vulgär«, sagte Mrs. Dogar. Dann begann sie zu lachen.
    »Ich wünschte,
man könnte diese Frage anders stellen«, räumte John D. ein. Als ihr Lachen unbeherrschter
wurde, packte sie fester zu; zum erstenmal spürte er die Kraft in ihren Händen.
»Vermutlich hätte ich es indirekter formulieren können«, fuhr Dhar fort, da ihm
ihr Lachen Mut machte. »Ich hätte

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