Zirkuskind
tötete, ohne sich mit einem Wort zu beklagen – wie
jemand, der hohes Fieber hatte, dachte Rahul.
»Hat sie
mich erkannt?« flüsterte Nancy. Sie zitterte, und dann stolperte sie. Dhar mußte
sie mit aller Kraft auf den Beinen halten.
»Sie kann
Sie nicht erkennen, sie erkennt Sie garantiert nicht. Sie ist nur neugierig, was
sich zwischen uns abspielt«, entgegnete der Schauspieler.
»Und was
spielt sich zwischen uns ab?« flüsterte Nancy. Dhar spürte, wie sich die Knöchel
ihrer ineinanderverkrallten Hände in seinen Nacken bohrten.
»Sie kommt
näher«, ließ Dhar Nancy wissen. »Sie erkennt Sie nicht. Sie möchte nur besser sehen.
Ich tue es jetzt«, flüsterte er.
»Was tun
Sie?« fragte Nancy, die vergessen hatte, wovon die Rede war – solche Angst hatte
sie vor Rahul.
»Ich mache
Ihren Reißverschluß auf«, sagte Dhar.
»Nicht
zu weit«, warnte Nancy.
[821] Der
Schauspieler schwenkte sie plötzlich herum. Er mußte sich auf Zehenspitzen stellen,
um ihr über die Schulter schauen zu können, wollte sich jedoch vergewissern, daß
Mrs. Dogar sein Gesicht sah. John D. schaute Rahul unverwandt an und lächelte. Er
zwinkerte dem Killer verschlagen zu. Dann zog er den Reißverschluß von Nancys Kleid
auf, während Rahul zusah. Als er bei ihrem BH -Verschluß angelangt war, hielt er
inne und ließ seine Hand zwischen ihre nackten Schulterblätter gleiten. Sie schwitzte,
und er spürte, wie sie zitterte.
»Schaut
sie zu?« flüsterte Nancy. »Ich hasse Sie«, fügte sie hinzu.
»Sie ist
direkt neben uns«, flüsterte Dhar. »Gleich werde ich sie mir schnappen. Wir tauschen
jetzt Partner.«
»Machen
Sie erst den Reißverschluß zu«, flüsterte Nancy. »Erst der Reißverschluß!«
Mit der
rechten Hand zog John D. den Reißverschluß zu, mit der linken griff er nach dem
Handgelenk der zweiten Mrs. Dogar. Ihr Arm fühlte sich kühl und trocken an, sehnig
wie ein kräftiges Seil.
»Tauschen
wir doch Partner für den nächsten Tanz!« sagte Inspector Dhar. Aber die langsame
Nummer ging noch weiter. Mr. Dogar geriet kurz ins Taumeln. Nancy, die erleichtert
war, Dhars Armen entronnen zu sein, zog den alten Mann kraftvoll an ihren Busen.
Eine Haarlocke hatte sich gelöst und fiel über ihre Wange. So sah niemand die Tränen,
die man auch mit Schweißtropfen hätte verwechseln können.
»Hallo«,
sagte Nancy. Bevor Mr. Dogar antworten konnte, legte sie ihm die flache Hand an
den Hinterkopf, so daß seine Backe fest zwischen ihre Schulter und ihr Schlüsselbein
gedrückt wurde. Entschlossen schob Nancy den alten Mann von Dhar und Rahul weg.
Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Kapelle eine schnellere Nummer
spielte.
Die letzten
paar Takte des Slowfox kamen Dhar und Rahul [822] gerade recht. John D.s Augen befanden
sich auf gleicher Höhe mit einer feinen blauen Vene, die an Mrs. Dogars Hals entlanglief.
Etwas tiefschwarz Glänzendes, wie Onyx – ein einzelner, in Silber gefaßter Stein –, lag in der vollkommenen Kuhle zwischen Hals und Brustbein. Ihr Kleid, smaragdgrün,
war tief ausgeschnitten und lag an den Brüsten eng an; ihre Hände waren glatt und
fest, ihr Griff überraschend leicht. Sie bewegte sich leichtfüßig. Wohin sich John
D. auch wandte, sie folgte ihm mit dem ganzen Körper – den Blick auf seine Augen
geheftet, als würde sie die erste Seite eines neuen Buches lesen.
»Das war
ziemlich plump… und ungeschickt«, sagte die zweite Mrs. Dogar.
»Ich habe
es satt, mir Mühe zu geben, Sie zu ignorieren«, sagte der Schauspieler. »Ich habe
keine Lust mehr so zu tun, als wüßte ich nicht, wer Sie sind… wer Sie waren«, fügte
Dhar hinzu, aber ihre Hände behielten ihren gleichmäßig sanften Druck bei, und ihr
Körper folgte gehorsam seinen Bewegungen.
»Meine
Güte, was für ein Spießer Sie sind!« sagte Mrs. Dogar. »Darf ein Mann denn nicht
zur Frau werden, wenn sie das möchte?«
»Eine
aufregende Vorstellung, ohne Zweifel«, meinte Inspector Dhar.
»Sie spotten
doch nicht etwa, oder?« fragte ihn Mrs. Dogar.
»Natürlich
nicht! Ich erinnere mich nur«, antwortete der Schauspieler. »Vor zwanzig Jahren
hatte ich nicht den Mut, mich Ihnen zu nähern. Damals wußte ich nicht, wie ich es
anstellen sollte.«
»Vor zwanzig
Jahren war ich nicht vollständig«, erinnerte ihn Rahul. »Wenn Sie sich an mich herangemacht
hätten, was hätten Sie dann getan?«
»Um ehrlich
zu sein, ich war zu jung, um überhaupt daran zu denken«, entgegnete Dhar. »Ich glaube,
ich
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