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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Stierkämpfer
ähnelte; freilich hatte er noch nie einen Stierkämpfer gesehen.
    Farrokh
konnte es kaum erwarten zu erfahren, für welchen Dialog sich John D. entschieden
hatte. Der in Schweiß geratene Filmstar machte noch immer mit seiner Unterlippe
herum. Der Doktor bemerkte, daß sie ziemlich geschwollen war und sich allmählich
purpurn färbte wie bei einer Quetschung. Er winkte einen Kellner heran und bat ihn
um ein großes Glas mit Eis – nur Eis.
    »Sie hat
Sie also geküßt«, sagte Nancy.
    »Es war
eher ein Biß«, entgegnete John D.
    »Aber
was hast du denn gesagt?« rief Dr. Daruwalla.
    »Haben
Sie sich mit ihr verabredet?« wollte Detective Patel von Dhar wissen.
    »Lunch
hier im Club, morgen«, antwortete der Schauspieler.
    »Lunch!«
wiederholte der Drehbuchautor enttäuscht.
    »Demnach
haben Sie einen Anfang gemacht«, meinte der Polizeibeamte.
    »Ja, ich
glaube schon. Da ist zumindest etwas… allerdings bin ich nicht sicher, was«, bemerkte
Dhar.
    »Dann
hat sie also reagiert?« fragte Farrokh. Er war [831]  frustriert, weil er den Dialog
der beiden hören wollte, Wort für Wort.
    »Schauen
Sie sich doch seine Lippe an!« sagte Nancy zum Doktor. »Natürlich hat sie reagiert!«
    »Hast
du sie dazu aufgefordert, dir ein Bild zu malen?« wollte Farrokh wissen.
    »Dieser
Teil war beängstigend, zumindest wurde die Angelegenheit etwas sonderbar«, sagte
Dhar ausweichend. »Aber ich glaube, daß sie mir etwas zeigen wird.«
    »Beim
Lunch?« fragte Dr. Daruwalla. John D. zuckte die Achseln; die ganze Fragerei ging
ihm sichtlich auf die Nerven.
    »Laß ihn
doch ausreden, Farrokh. Und hör auf, ihm Sachen in den Mund zu legen«, sagte Julia
zu ihrem Mann.
    »Aber
er redet ja nicht!« rief der Doktor.
    »Sie hat
gesagt, sie möchte, daß ich mich ihr unterwerfe«, berichtete Dhar dem Kommissar.
    »Sie möchte
ihn fesseln!« schrie Farrokh.
    »Sie hat
gesagt, sie versteht darunter mehr als das«, entgegnete Dhar.
    »Und was
ist ›mehr als das‹?« fragte Dr. Daruwalla.
    Der Kellner
brachte das Eis, und John D. hielt einen Würfel an seine Lippe.
    »Steck
den Eiswürfel in den Mund und lutsche ihn«, riet ihm der Doktor, aber John D. applizierte
sich das Eis auf seine Weise.
    »Sie hat
mich richtig zerbissen«, war die einzige Antwort.
    »Bist
du auf die Geschlechtsumwandlung zu sprechen gekommen?« fragte der Drehbuchautor.
    »Den Teil
der Unterhaltung fand sie komisch«, erklärte John D. »Sie lachte darüber.«
    Inzwischen
waren die Bißstellen an der Außenseite von Dhars Unterlippe selbst bei Kerzenlicht
ziemlich gut zu erkennen. Die Zähne hatten so tiefe Quetschmale verursacht, daß
sich das helle Purpur der verfärbten Lippe in dunkles Magentarot [832]  verwandelte,
als hätten Mrs. Dogars Zähne dort Flecken hinterlassen.
    Zur Verwunderung
ihres Mannes schenkte sich Nancy ein zweites Glas Champagner ein. Detective Patel
war schon leicht schockiert gewesen, daß seine Frau dem ersten Glas zugestimmt hatte.
Jetzt erhob Nancy ihr Glas, als wollte sie allen Leuten im Ladies’ Garden zuprosten.
    »Gutes
neues Jahr«, sagte sie, allerdings zu niemand Bestimmtem.
    »Auld Lang Syne«
    Endlich
wurde das Mitternachtsdinner serviert. Nancy stocherte in ihrem Essen herum, das
am Ende ihr Mann aufaß. John D. konnte wegen seiner Lippe nichts scharf Gewürztes
essen. Er erwähnte weder die Erektion, zu der Mrs. Dogar ihn gebracht hatte, noch
daß – und in welchem Ton – sie gesagt hatte, er sei so groß wie ein Elefant. Dhar
beschloß, das Detective Patel später unter vier Augen zu erzählen. Als sich der
Kriminalbeamte kurz entschuldigte, folgte John D. ihm in die Herrentoilette und
erzählte es ihm dort.
    »Es hat
mir gar nicht gefallen, wie sie beim Weggehen ausgesehen hat.« Mehr sagte der Detective
dazu nicht.
    Als sie
wieder am Tisch saßen, eröffnete ihnen Dr. Daruwalla, er habe einen Plan, wie man
die obere Hälfte des Kugelschreibers »ins Spiel bringen« könne. Dazu wurde Mr. Sethna
benötigt; es hörte sich ziemlich kompliziert an. John D. wiederholte, er hoffe,
daß Rahul ihm eine Zeichnung machen würde.
    »Damit
wäre doch alles klar, oder?« fragte Nancy ihren Mann.
    »Damit
wäre uns geholfen«, sagte der Kommissar. Er hatte ein ungutes Gefühl. Er entschuldigte
sich noch einmal, diesmal um im Kriminalkommissariat anzurufen und anzuordnen, daß [833]  das Haus der Dogars die ganze Nacht überwacht wurde. Falls Mrs. Dogar das Haus
verließ, sollte der Überwachungsbeamte ihr folgen

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