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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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meinte Nancy.
    »Immerhin
hast du gute Arbeit geleistet«, sagte ihr Mann.
    »Wir werden
sie doch schnappen, oder, Vijay?«
    »Ja, das
werden wir, Herzchen.«
    »Sie hat
mich nicht erkannt!« rief Nancy.
    »Das habe
ich dir doch gleich gesagt, oder?« meinte der Detective.
    »Sie hat
mich nicht mal wahrgenommen! Sie hat einfach durch mich hindurchgeschaut, als würde
ich gar nicht existieren! All diese Jahre, und dabei hat sie sich nicht mal an mich
erinnert.«
    Als der
Kommissar die Hand seiner Frau ergriff, legte sie den Kopf an seine Schulter. Sie
fühlte sich so ausgelaugt, daß sie nicht einmal mehr weinen konnte.
    »Es tut
mir leid, Vijay, aber ich glaube nicht, daß ich tanzen kann. Ich kann einfach nicht«,
sagte Nancy.
    [836]  »Schon
gut, Herzchen«, sagte ihr Mann. »Ich kann gar nicht tanzen, hast du das vergessen?«
    »Er hätte
meinen Reißverschluß nicht aufzumachen brauchen, das war unnötig«, sagte Nancy.
    »Es hat
zur allgemeinen Wirkung beigetragen«, entgegnete Patel.
    »Es war
unnötig«, wiederholte Nancy. »Und es hat mir nicht gefallen, wie er es gemacht hat.«
    »Es sollte
dir auch nicht gefallen, das war die Absicht«, erklärte ihr Mann.
    »Sie muß
versucht haben, ihm die ganze Lippe abzubeißen!« rief Nancy.
    »Ich glaube,
es ist ihr nur mit knapper Not gelungen, sich zu beherrschen«, sagte der Kommissar.
Bei diesen Worten löste sich Nancys innere Starre, und sie konnte endlich an der
Schulter ihres Mannes weinen.
    Fast schien
es, als wollte die Kapelle dieses langweilige alte Lied ewig weiterspielen. »›We’ll
drink a cup of kindness yet…‹«, grölte Mr. Bannerjee.
    Mr. Sethna
bemerkte, daß Julia und Dr. Daruwalla die würdevollsten Tänzer auf dem Parkett waren.
Dr. und Mrs. Sorabjee tanzten sichtlich nervös und ließen dabei ihre Tochter keinen
Augenblick aus den Augen. Die arme Amy war aus England zurückbeordert worden, wo
sie sich nicht sonderlich gut gehalten hatte. Zu viele Partys, wie ihre Eltern argwöhnten
– aber noch beunruhigender war ihre Vorliebe für ältere Männer. An der Universität
war sie dafür berüchtigt, daß sie nichts von Liebschaften mit anderen Studenten
hielt. Statt dessen hatte sie sich auf einen Professor gestürzt, einen verheirateten
Mann. Zum Glück hatte dieser die Situation nicht ausgenutzt. Und jetzt mußte das
junge Mädchen ausgerechnet mit Dhar tanzen. Vom Regen in die Traufe! dachte Mrs.
Sorabjee. Es war eine unangenehme Situation für Mrs. Sorabjee, denn da sie eng mit
den [837]  Daruwallas befreundet war, konnte sie ihre Meinung über Inspector Dhar unmöglich
offen sagen.
    »Wissen
Sie eigentlich, daß Sie in England zu haben sind – auf Video, meine ich?« fragte
Amy den Schauspieler.
    »Tatsächlich?«
fragte er zurück.
    »Wir hatten
mal eine Weinprobe, und da habe ich Sie ausgeliehen«, erzählte ihm Amy. »Leute,
die nicht aus Bombay kommen, wissen nicht, was sie von Ihnen halten sollen. Sie
finden die Filme schon sehr eigenartig.«
    »Stimmt«,
sagte Inspector Dhar. »Ich auch«, fügte er hinzu.
    Das brachte
sie zum Lachen. Sie war ganz offensichtlich ein leichtfertiges Mädchen – ihre Eltern
taten ihm fast ein bißchen leid.
    »Dieses
wüste Durcheinander aus Musik und Morden«, sagte Amy Sorabjee.
    »Vergessen
Sie die Einmischung der Götter nicht«, merkte der Schauspieler an.
    »Genau!
Und diese vielen Frauen! Sie reißen wirklich eine Menge Frauen auf«, bemerkte Amy.
    »Ja, das
tue ich«, sagte Dhar.
    »›We’ll drink a cup of kindness yet for the days of auld lang syne! ‹«schmetterten die alten Tänzer; sie
hörten sich wie Esel an.
    » Inspector Dhar
und der Käfigmädchen-Killer gefällt mir am besten… die anderen Filme sind weniger sexy«, sagte
die kleine Amy Sorabjee.
    »Ich habe
keinen Lieblingsfilm«, vertraute ihr der Schauspieler an. Er schätzte sie auf zwei-
oder dreiundzwanzig. Für ihn war sie eine angenehme Ablenkung, doch es irritierte
ihn, daß sie andauernd auf seine Lippe starrte.
    »Was ist
denn mit Ihrer Lippe passiert?« fragte sie ihn schließlich flüsternd – mit noch
immer mädchenhafter, aber verschlagener, ja verschwörerischer Miene.
    [838]  »Als
die Lichter ausgingen, bin ich gegen eine Wand gerannt«, sagte Dhar.
    »Ich glaube,
das war diese schreckliche Frau«, wagte sich Amy Sorabjee vor. »Sieht aus, als hätte
sie Sie gebissen!«
    John D.
tanzte einfach weiter. Nachdem seine Lippe so geschwollen war, tat es ihm weh, höhnisch
zu lächeln.
    »Alle
finden diese Frau

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