Zirkuskind
schrecklich, müssen Sie wissen«, sagte Amy. Daß Dhar schwieg,
hatte sie etwas unsicher gemacht. »Und wer war die erste Frau, die, mit der Sie
gekommen sind?« fragte Amy. »Die, die gegangen ist?«
»Sie ist
eine Stripperin«, sagte Inspector Dhar.
»Ach,
kommen Sie, doch nicht wirklich!« rief Amy.
»Doch,
wirklich«, antwortete John D.
»Und wer
ist die blonde Dame?« wollte sie wissen. »Für mich sah sie so aus, als wollte sie
gleich weinen.«
»Sie ist
eine ehemalige Freundin«, antwortete der Schauspieler; er bekam das Mädchen allmählich
satt. Junge Mädchen verstanden unter Intimität, daß sie auf alle ihre Fragen Antworten
bekamen.
Bestimmt
wartete Vinod bereits draußen auf ihn. Nachdem er Muriel wieder im Wetness Cabaret
abgeliefert hatte, war er sicher längst zurück. Dhar wollte ins Bett, allein. Er
wollte frische Eiswürfel auf seine Lippe legen, und er wollte sich bei Farrokh entschuldigen.
Seine Bemerkung, daß es »kein Zirkus« sei, sich auf die Verführung von Mrs. Dogar
vorzubereiten, war nicht sehr nett gewesen, denn John D. wußte, wieviel der Zirkus
dem Doktor bedeutete – er hätte wirklich etwas netter sein und sagen können, daß
es kein »Honiglecken« war, sich auf Rahul vorzubereiten. Und jetzt hatte er diese
unersättliche Amy Sorabjee am Hals, die ihn (und sich selbst) unbedingt unnötig
in Schwierigkeiten bringen wollte. Zeit zu verschwinden, dachte der Schauspieler.
In dem
Augenblick warf Amy einen raschen Blick über Dhars Schulter, um sich zu vergewissern,
wo sich ihre Eltern befanden. [839] Ein wackeliges Dreiergespann versperrte Amy den
Blick auf Dr. und Mrs. Sorabjee – Mr. Bannerjee bemühte sich nach Kräften, mit seiner
Frau und der Witwe Lal zu tanzen –, und Amy nutzte diesen unbeobachteten Augenblick,
weil sie wußte, daß sie dem aufmerksamen Blick ihrer Eltern nur kurz entzogen war.
Sie ließ ihre weichen Lippen über John D.s Wange streifen. Dann flüsterte sie ihm,
übertrieben atemlos, ins Ohr: »Ich könnte diese Lippe küssen und sie wieder heil
machen!«
John D.,
aalglatt, tanzte einfach weiter. Daß er überhaupt nicht reagierte, verunsicherte
Amy, und so flüsterte sie eher wehmütig – zumindest etwas nüchterner: »Ich habe
ein Faible für ältere Männer.«
»Tatsächlich?«
sagte der Schauspieler. »Na so was, genau wie ich«, erklärte Inspector Dhar dem
dummen Mädchen. »Genau wie ich!«
Damit
war er sie los; das funktionierte immer. Endlich konnte Inspector Dhar verschwinden.
[840] 25
Das Jubiläum
Kein Affe
Es war
der 1. Januar 1990, ein Montag, Zugleich war es der Tag, an dem die St.-Ignatius-Schule
in Mazgaon ihr Jubiläum feierte – den einhundertfünfundzwanzigsten Jahrestag der
Missionsgründung. Die Wohltäter der Missionsstation wurden zu einem kleinen Essen
am frühen Abend eingeladen, dem am Spätnachmittag ein feierlicher Gottesdienst vorausgehen
sollte. Außerdem sollte bei dieser Gelegenheit Martin Mills der katholischen Gemeinde
in Bombay offiziell vorgestellt werden, weshalb Pater Julian und Pater Cecil es
auch bedauerten, daß der Scholastiker derart übel zugerichtet vom Zirkus zurückgekehrt
war. In der vergangenen Nacht hatte Martin Frater Gabriel einen Schrecken eingejagt;
dieser hatte die derangierte Gestalt mit dem blutbefleckten, sich ablösenden Kopfverband
für den wandelnden Geist eines verfolgten Jesuiten gehalten – für eine arme Seele,
die gefoltert und hingerichtet worden war.
Früher
am selben Abend hatte der glaubenseifrige Missionar Pater Cecil dazu überredet,
ihm die Beichte abzunehmen. Aber Pater Cecil war so müde gewesen, daß er einschlief,
bevor er Martin die Absolution erteilen konnte. Martins Beichte wollte und wollte
kein Ende nehmen, und Pater Cecil hatte auch gar nicht begriffen, worum es eigentlich
ging, bevor er eindöste. Dem alten Priester war nur aufgefallen, daß Martin Mills
nichts Gravierenderes beichtete als die Neigung, sich zeit seines Lebens zu beklagen.
Zunächst
hatte Martin die diversen Gelegenheiten aufgezählt, [841] bei denen er von sich enttäuscht
gewesen war, angefangen bei seiner Zeit als Novize in St. Aloysius in Massachusetts.
Pater Cecil gab sich Mühe, aufmerksam zuzuhören, denn in der Stimme des Scholastikers
lag etwas Drängendes. Doch die Fähigkeit des jungen Martin zur Selbstkritik war
so ausgeprägt, daß der arme Priester bald das Gefühl hatte, er selbst sei bei Martins
Beichte völlig überflüssig. Zum Beispiel beichtete Martin, daß er
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