Zirkuskind
damals in St.
Aloysius bei einem heiligen Ereignis von erheblicher Bedeutung völlig kaltgeblieben
sei: Der Besuch des heiligen Arms des heiligen Franz Xaver im Noviziat in Massachusetts
hatte ihn gänzlich unbeeindruckt gelassen. Für so gravierend hielt Pater Cecil das
auch wieder nicht.
Der Gottesdiener,
der den abgetrennten Arm des Heiligen begleitete, war der berühmte Pater Terry Finney,
S. J. gewesen; er hatte es sich selbstlos zur Aufgabe gemacht, den goldenen Reliquienschrein
um die Welt zu tragen. Martin beichtete, daß der Arm des Heiligen für ihn nicht
mehr war als ein skelettartiges Körperglied unter Glas, das ihm vorkam wie etwas
teilweise Abgenagtes, wie ein Überbleibsel. Erst jetzt brachte der Scholastiker
es über sich zu beichten, daß ihm damals derart blasphemische Gedanken durch den
Kopf gegangen waren. (An dieser Stelle schlief Pater Cecil bereits tief und fest.)
Das war
längst noch nicht alles. Martin war bekümmert, daß er Jahre gebraucht hatte, um
die Frage der Göttlichen Gnade zu seiner Zufriedenheit zu lösen. Und manchmal hatte
er das Gefühl, daß er sich lediglich bewußt Mühe gab, nicht daran zu denken. Das
hätte der alte Pater Cecil allerdings hören sollen, denn Martin Mills’ Selbstzweifel
hatten geradezu gefährliche Ausmaße. Endlich kam der junge Martin mit seiner Beichte
zu der augenblicklichen Enttäuschung über sein Verhalten auf der Fahrt zum Zirkus
und zurück.
Er fühlte
sich schuldig, weil er den verkrüppelten Jungen mehr liebte als die Kindprostituierte;
sein Abscheu vor der [842] Prostitution bewog ihn dazu, sich mit dem Schicksal des
Mädchens mehr oder minder abzufinden. Außerdem tat es Martin leid, daß er Dr. Daruwalla
gegenüber einen so arroganten, intellektuellen Ton angeschlagen hatte, als dieser
ihn auf das heikle Thema Homosexualität angesprochen hatte. An diesem Punkt schlief
Pater Cecil so tief, daß er nicht einmal aufwachte, als er im Beichtstuhl nach vorn
kippte und seine Nase sich durch das Holzgitter bohrte, so daß Martin Mills sie
auf der anderen Seite sehen konnte.
Da wußte
Martin, daß der alte Pater Cecil eingeschlafen war. Er wollte den armen Mann nicht
in Verlegenheit bringen, hielt es aber nicht für richtig, ihn in dieser unbequemen
Stellung weiterschlafen zu lassen. Deshalb schlich er sich davon und machte sich
auf die Suche nach Frater Gabriel. Und bei dieser Gelegenheit hielt dieser den Scholastiker
mit seinem wüst aussehenden Verband für einen verfolgten Christen aus vergangenen
Zeiten. Nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, begab sich Frater Gabriel
zu Pater Cecil und weckte ihn auf; daraufhin verbrachte dieser eine schlaflose Nacht,
weil er sich nicht mehr erinnern konnte, was Martin Mills gebeichtet hatte und ob
er seinem übereifrigen Glaubensbruder die Absolution erteilt hatte oder nicht.
Martin
schlief selig. Auch ohne Absolution hatte es ihm gut getan, sich alle diese Dinge
von der Seele zu reden, die gegen ihn sprachen. Es war früh genug, wenn sich morgen
jemand seine vollständige Beichte anhörte – vielleicht würde er diesmal Pater Julian
bitten. Pater Julian war zwar furchtsamer als Pater Cecil, aber auch ein bißchen
jünger. Und so schlief Martin, mit reinem Gewissen und ohne Ungeziefer im Bett,
die Nacht durch. Einen Augenblick voller Zweifel, im nächsten Moment übersprudelnd
vor Überzeugung – der Missionar war ein wandelnder Widerspruch; er war verläßlich
in seiner Sprunghaftigkeit.
Nancy
schlief die Nacht ebenfalls durch. Zwar konnte man [843] nicht behaupten, daß sie »selig«
schlief, aber wenigstens schlief sie. Gewiß trug der Champagner dazu bei. Als das
Telefon klingelte, hörte sie es nicht; Detective Patel nahm in der Küche ab. Es
war genau vier Uhr morgens am Neujahrstag, und zunächst war der Kommissar erleichtert,
daß der Anruf nicht von dem Überwachungsbeamten kam, der dazu angestellt war, das
Haus der Dogars an der alten Ridge Road in Malabar Hill zu beobachten. Es ging um
einen Mord im Rotlichtbezirk in Kamathipura: In einem der fraglich besseren Bordelle
war eine Prostituierte ermordet worden. Normalerweise hätte niemand den Kommissar
wegen eines solchen Vorfalls geweckt, aber sowohl der ermittelnde Beamte als auch
der ärztliche Leichenbeschauer waren überzeugt, daß das Verbrechen mit Dhar in Verbindung
stand. Wieder einmal war der ermordeten Hure ein Elefant auf den Bauch gemalt worden,
aber bei diesem Mord gab es noch eine neue, abscheuliche Besonderheit,
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