Zirkuskind
erklärte Dr. Macfarlane und dem Pflegedienstleiter, er wolle deshalb
mit Aids-Patienten zu tun haben, weil er mehr über John D. erfahren wolle, da dieser
sich ihm entzog. Er gab zu, daß er sich schreckliche Sorgen um ihn machte; daß sein
geliebter »Sohn« an Aids sterben könnte, war Farrokhs allergrößte Angst. (Ja, und
um Martin hatte er auch Angst.)
[927] Die emotionale
Zurückhaltung, die die Freundschaft von Farrokh und Mac kennzeichnete – die unterkühlten
Gespräche über das jeweilige Stadium von Macfarlanes HIV -infiziertem Zustand war dafür nur
ein Beispiel –, hinderte Farrokh daran, seinem Freund gegenüber zuzugeben, daß er
auch Angst davor hatte, ihn an Aids sterben zu sehen. Trotzdem war es für beide
Ärzte und den Pflegedienstleiter der Klinik völlig klar, daß dies ein weiteres Motiv
für Farrokhs Wunsch war, sich mit den Interna einer Aids-Sterbeklinik vertraut zu
machen.
Dr. Daruwalla glaubte,
je besser er lernte, sich im Umgang mit Aids-Patienten, und mit Homosexuellen ganz
generell, natürlich zu verhalten, um so enger würde möglicherweise seine Beziehung
zu John D. werden. Die beiden waren sich bereits nähergekommen, seit John D. Farrokh
gesagt hatte, daß er schon immer schwul gewesen sei. Zweifellos hatte Dr. Daruwalla
die Freundschaft mit Dr. Macfarlane dabei geholfen. Aber welcher »Vater« fühlt sich
seinem »Sohn« jemals nahe genug – das sei doch der entscheidende Punkt, oder? hatte
Farrokh Mac gefragt.
»Allzu nahe solltest
du John D. aber nicht kommen«, hatte Macfarlane ihm geraten. »Denk daran, daß du
nicht sein Vater bist… und auch nicht schwul.«
Bei seinen anfänglichen
Versuchen, sich in die Abläufe in der Sterbeklinik einzufügen, stellte sich Dr.
Daruwalla ziemlich ungeschickt an. Wie Mac ihm vorausgesagt hatte, mußte er lernen,
daß er nicht der Arzt dieser Patienten war, sondern nur ein freiwilliger Helfer.
Er stellte viele für einen Arzt typische Fragen und machte die Schwestern damit
ganz verrückt. Und von Krankenschwestern Befehle entgegenzunehmen – daran mußte
sich Dr. Daruwalla auch erst gewöhnen. Es kostete ihn einige Mühe, sein Fachwissen
auf das Problem wundgelegener Stellen zu beschränken; trotzdem ließ er sich nicht
davon abhalten, den Patienten kleine Übungen zur Bekämpfung des Muskelschwunds zu [928] verordnen. Er teilte so großzügig Tennisbälle zum Zusammendrücken und Kräftigen
der Handmuskulatur aus, daß ihm eine Krankenschwester den Spitznamen »Dr. Balls«
gab. Nach einiger Zeit mochte er diesen Namen ganz gern.
Er war geschickt
im Umgang mit Kathetern und konnte den Patienten Morphiumspritzen geben, wenn ein
Klinikarzt oder eine Schwester das anordneten; er lernte mit Ernährungsschläuchen
umzugehen, doch die Anfälle mit ansehen zu müssen war ihm zuwider. Er hoffte inständig,
nie miterleben zu müssen, daß John D. an akutem Durchfall starb… an einer nicht
kontrollierbaren Infektion… einem tödlichen Fieber.
»Das hoffe ich auch
nicht«, sagte Mac. »Aber wenn du nicht bereit bist, mich sterben zu sehen, bist
du für mich wertlos, wenn es soweit ist.«
Dr. Daruwalla wollte
bereit sein. Normalerweise verbrachte er seine Zeit als freiwilliger Helfer mit
gewöhnlichen Arbeiten. An einem Abend machte er die Wäsche, genau wie Macfarlane,
der vor Jahren stolz davon erzählt hatte – sämtliche Bettücher und Handtücher. Einigen
Patienten, die nicht lesen konnten, las er vor. Und Briefe schrieb er auch für sie.
Eines Nachts, als
Farrokh die Telefonzentrale übernommen hatte, rief eine wütende Frau an; sie war
entrüstet, weil sie soeben erfahren hatte, daß ihr einziger Sohn in der Klinik im
Sterben lag und niemand sie offiziell informiert hatte – nicht einmal ihr Sohn.
Sie sei empört, sagte sie, und wolle auf der Stelle mit einem der Verantwortlichen
reden; ihren Sohn verlangte sie nicht zu sprechen.
Dr. Daruwalla ging
davon aus, daß die Frau ebensogut mit ihm reden konnte, auch wenn er nicht »verantwortlich«
war. Er kannte die Klinik und ihre Regeln gut genug, um sie zu beraten, wie ihr
Besuch aussehen sollte – wann sie kommen konnte, daß sie die Privatsphäre der Patienten
respektieren mußte und so weiter. Aber die Frau wollte nichts davon wissen.
[929] »Sie sind nicht
verantwortlich!« schrie sie immer wieder. »Ich will einen Arzt sprechen!« rief sie.
»Ich möchte mit dem Chef des Hauses sprechen!«
Dr. Daruwalla war
drauf und dran, ihr seinen vollständigen Namen,
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