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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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seinen Beruf und sein Alter zu nennen
– sogar die Anzahl seiner Kinder und Enkelkinder, falls sie das wünschte. Doch bevor
er etwas sagen konnte, schrie sie ihn an. »Wer sind Sie überhaupt? Was sind Sie?«
    Dr. Daruwalla antwortete
ihr so voller Überzeugung und Stolz, daß es ihn selbst überraschte: »Ich bin ein
freiwilliger Helfer.« Dieser Gedanke gefiel ihm. Er fragte sich, ob assimiliert
zu sein ein so wohltuendes Gefühl war, wie ein freiwilliger Helfer zu sein.
    Die unterste Schublade
    Nachdem
Dr. Daruwalla Bombay verlassen hatte, gab es noch andere Abschiede; in einem Fall
einen Abschied und eine Rückkehr. Suman, der absolute Star des Deckenlaufs, verließ
den Great Royal Circus und heiratete einen Mann aus der Molkereibranche. Später,
nach mehreren Diskussionen mit Pratap Walawalkar, dem Zirkusbesitzer, kehrte Suman
zum Great Royal zurück und brachte ihren »Milchmann« mit. Erst kürzlich hatte der
Doktor erfahren, daß Sumans Mann inzwischen einer der Manager des Great Royal Circus
war und Suman wieder den Deckenlauf zeigte. Sie war nach wie vor der große Star.
    Farrokh hatte auch
gehört, daß Pratap Singh den Great Royal verlassen hatte; der Zirkusdirektor und
Raubtierdompteur hatte sich mit seiner Frau Sumi und ihrer Truppe von Kinderartisten
– unter ihnen die echte Pinky – verabschiedet, um sich dem New Grand Circus anzuschließen.
Im Gegensatz zu der fiktiven Pinky in Limo-Roulette wurde die echte Pinky nicht [930]  von
einem Löwen getötet, der sie mit einem Pfau verwechselte. Die echte Pinky trat nach
wie vor auf, in einer Stadt nach der anderen. Nach Farrokhs Schätzung mußte sie
inzwischen elf oder zwölf Jahre alt sein.
    Aber dem Doktor
kam noch mehr zu Ohren: Im New Grand führte ein Mädchen namens Ratna den Deckenlauf
vor. Bemerkenswert daran war, daß sie ihn rückwärts beherrschte! Und als der New
Grand Circus in Changanacheri gastierte, trat Pinky unter dem neuen Namen Choti
Rani, das heißt Kleine Königin, auf. Wahrscheinlich hatte Pratap diesen Namen nicht
nur gewählt, weil er recht eindrucksvoll klang, sondern auch weil Pinky für ihn
eben etwas Besonderes war; Pratap sagte immer, sie sei absolut die Beste. Die schlichte
Pinky war jetzt eine kleine Königin.
    Deepa und ihr Sohn
Shivaji waren dem Great Blue Nile ebenfalls entronnen. Die Entschlußkraft hatte
der junge Mann eindeutig von seinem Vater Vinod geerbt; was sein artistisches Talent
anging, war er seinem Vater weit überlegen – und als Clown war er ihm mindestens
ebenbürtig. Shivajis vielseitigem Geschick war es zu verdanken, daß er und seine
Mutter vom Great Blue Nile zum Great Royal Circus überwechseln konnten, was fraglos
ein Schritt nach oben war – ein Schritt, den Deepa aufgrund ihres eigenen oder Vinods
Talent nie geschafft hätte. Farrokh hatte erfahren, daß die raffinierten Details
von Shivajis Nummer mit dem boxenden Clown – ganz zu schweigen von seiner Paradenummer,
die er Elefanten-Parcours nannte – alle anderen indischen Pupsclowns in den Schatten
stellten.
    Den weniger begabten
Artisten, die sich für den Great Blue Nile abrackerten, war das Schicksal alles
in allem weniger freundlich gesonnen; für sie würde es kein Entrinnen geben. Der
elefantenfüßige Junge hatte sich nie damit zufriedengegeben, nur Küchengehilfe zu
sein; er wollte höher hinaus. Mrs. Bhagwan, [931]  die Frau des Messerwerfers – mit
ihrem roboterhaften Deckenlauf –, hatte es nicht geschafft, Ganesh von seiner athletischen
Wahnvorstellung abzubringen. Obwohl er viele Male von dem leiterähnlichen Übungsgerät
gefallen war, das im Wohnzelt der Bhagwans hing, wollte der Krüppel den Gedanken,
daß er den Deckenlauf erlernen könnte, einfach nicht aufgeben.
    Der perfekte Schluß
für Farrokhs Drehbuch sieht so aus, daß der Krüppel gehen lernt, ohne zu hinken,
indem er an der Decke geht; so sollte die Geschichte des echten Ganesh nicht enden.
Der echte Ganesh gab keine Ruhe, bevor er nicht den richtigen Deckenlauf ausprobiert
hatte. Es kam fast so, wie Dr. Daruwalla es sich vorgestellt hatte, fast so wie
im Drehbuch. Doch sehr wahrscheinlich war der echte Ganesh nicht so beredt; er hätte
keine philosophischen Überlegungen angestellt. Der Elefantenjunge hatte sicher hinuntergesehen,
mindestens einmal – genug, um zu wissen, daß er das lieber nicht noch einmal tun
sollte. Von der Kuppel des Spielzelts aus gesehen, befand sich der Boden fünfundzwanzig
Meter unter ihm. Man darf bezweifeln, daß ihm, als

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