Zirkuskind
zu folgen, Dr. Macfarlane
Little India zu zeigen.
Damals, als die
rassistischen Schlägertypen Farrokh gegen seinen Willen nach Little India entführt
hatten, war es auch Mai gewesen, ebenfalls ein Freitag; ein Tag, an dem offenbar
die meisten Geschäfte in diesem Viertel geschlossen waren – oder hatten nur die
Fleischerläden zu? Dr. Daruwalla fragte sich, ob das daran lag, daß die hier lebenden
Muslime getreulich ihre Freitagsgebete verrichteten. Das war auch so etwas, was
er nicht wußte. Er wußte nur, daß er Macfarlane Little India zeigen wollte und auf
einmal das Gefühl hatte, alle äußeren Umstände müßten genau so sein wie damals –
dasselbe Wetter, dieselben Geschäfte, dieselben Schaufensterpuppen (wenn auch nicht
dieselben Saris).
Ohne Zweifel war
Dr. Daruwalla von einer Zeitungsnotiz zu diesem Ausflug angeregt worden, wahrscheinlich
einem Artikel über die Heritage Front. Berichte über die Heritage Front, diese neonazistischen
Flegel, diesen weißen, sich überlegen dünkenden Abschaum, regten ihn immer furchtbar
auf. Da es in Kanada Gesetze gegen Rassenhaß gab, begriff Dr. Daruwalla nicht recht,
warum solche Gruppen geduldet wurden, die einen derartigen Rassenhaß schürten.
Macfarlane fand
ohne Schwierigkeiten einen Parkplatz. Wie damals wirkte Little India ziemlich verlassen
– in dieser Beziehung hatte es keinerlei Ähnlichkeit mit Indien. Farrokh blieb an
der Ecke Gerrard Street und Coxwell Avenue vor dem Lebensmittelgeschäft Ahmad stehen
und deutete schräg über die Straße auf die mit Brettern vernagelten Büros der Canadian
Ethnic Immigration Services – sie wirkten endgültig geschlossen, nicht nur weil
Freitag war.
»An dieser Stelle
haben sie mich aus dem Wagen gezerrt«, erklärte Dr. Daruwalla. Sie gingen auf der
Gerrard Street weiter. Stickwaren Pindi war verschwunden, aber auf dem Gehsteig [923] stand ein Kleiderständer mit leblosen Kaftanen. »An dem Tag, an dem ich hier
war, gab es mehr Wind«, erzählte Farrokh. »Die Kaftane schaukelten richtig hin und
her.«
Nirma Fashions an
der Ecke Rhodes Avenue und Gerrard Street war noch immer da, und Singh Farm pries
noch immer frisches Obst und Gemüse an. Sie betrachteten die Fassade der Vereinigungskirche,
die auch als Shri-Ram-Hindu-Tempel diente. Reverend Lawrence Pushee, der für erstere
zuständige Geistliche, hatte für den Gottesdienst am kommenden Sonntag ein interessantes
Thema gewählt, das der Gemeinde in Form eines Gandhi-Zitats angekündigt wurde. »Es
ist genug da für jedermanns Bedürfnis, aber nicht genug für jedermanns Gier.«
Nicht nur die Canadian
Ethnic Immigration Services, sondern auch die Chinesen machten harte Zeiten durch:
Die Luck City Poultry Company war geschlossen worden. Das ehemalige Restaurant Nirala
an der Ecke Craven Road und Gerrard Street mit seinen indischen Spezialitäten nannte
sich jetzt Hira Moti, und ein vertrautes Werbeplakat für Kingfisher Lager versprach,
daß dieses Bier (wie immer) ERFÜLLT MIT INNERER K RAFT war. Ein MEGASTARS -Poster kündigte Auftritte von Jeetendra
und Bali von der Gruppe Patel Rap an; Sapna Mukerjee sollte auch auftreten.
»Ich bin blutend
hier entlanggelaufen«, sagte Farrokh zu Mac. Im Schaufenster von Kala Kendar oder
von Sonali’s stand noch dieselbe blonde Schaufensterpuppe mit einem Sari; sie wirkte
zwischen den anderen Puppen so deplaziert wie eh und je. Dr. Daruwalla mußte an
Nancy denken.
Sie kamen am Satyam
vorbei, dem »Geschäft für die ganze Familie«, und entdeckten eine längst überholte
Ankündigung für die Wahl der Miss Diwali. Ohne bestimmtes Ziel gingen sie die Gerrard
Street hinauf und auf der anderen Straßenseite wieder hinunter. Dabei wiederholte
Farrokh ständig die Namen der [924] diversen Örtlichkeiten: Kohinoor-Supermarkt, Madras
Durbar, Apollo Videoverleih (der für »asiatische Filme« warb), India Theater – JETZT IM P ROGRAMM: TAMILISCHE F ILME! Beim Chaat Hut, erklärte Farrokh
Mac, was »alle Arten von chaats «
bedeutete. Im Bombay Bhel blieb ihnen kaum Zeit, ihr aloo tikki zu essen und ein Thunderbolt Bier
zu trinken.
Bevor die beiden
Ärzte in die Klinik zurückfuhren, machten sie bei J. S. Addison, Installationen,
an der Ecke Woodfield Road halt. Dr. Daruwalla hielt nach der herrlichen Kupferbadewanne
mit den kunstvoll verzierten Armaturen Ausschau, die ihn beim letztenmal so beeindruckt
hatte. Die Drehknöpfe an den Wasserhähnen waren Tigerköpfe – brüllende Tiger –,
und die Wanne sah
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