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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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genauso aus wie die, in der er als Junge in der alten Ridge Road
in Malabar Hill gebadet hatte. Diese Badewanne war ihm seit seinem letzten, unfreiwilligen
Besuch in Little India nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Aber inzwischen war sie
verkauft. Dafür entdeckte Farrokh eine andere viktorianische Kostbarkeit: dieselbe
Waschbeckenarmatur, mit Stoßzähnen zum Regulieren der Wassertemperatur, die Rahuls
Phantasie in der Damentoilette des Duckworth Club angeregt hatte; denselben elefantenköpfigen
Wasserhahn, bei dem das Wasser aus dem Rüssel spritzte. Farrokh berührte die beiden
Stoßzähne, den einen für heißes und den anderen für kaltes Wasser. Macfarlane fand
das Ding abscheulich, aber Dr. Daruwalla kaufte es, ohne zu zögern. Es war eindeutig
das Produkt britischer Phantasie, aber hergestellt war es in Indien.
    »Hat das etwa sentimentalen
Erinnerungswert?« fragte Mac.
    »Nicht unbedingt«,
antwortete Farrokh. Er fragte sich, was er mit dem häßlichen Ding anstellen sollte,
denn er wußte schon jetzt, daß Julia es schrecklich finden würde.
    »Diese Männer, die
dich hierhergebracht und hier abgesetzt haben…«, sagte Mac plötzlich.
    »Was ist mit denen?«
    [925]  »Meinst du, daß
sie auch andere Leute herbringen… so wie dich?«
    »Andauernd«, sagte
Farrokh. »Ich glaube, daß sie andauernd Leute hierherbringen.«
    Mac fand, daß Farrokh
sehr niedergeschlagen wirkte, und sagte ihm das auch.
    Wie soll ich mich
je assimilieren? fragte sich Dr. Daruwalla. »Wie könnte ich mich als Kanadier fühlen?«
fragte er seinen Freund Mac.
    Wenn man den Zeitungsberichten
glauben durfte, machte sich in der Bevölkerung immer mehr Unmut und Feindseligkeit
gegen die Einwanderer bemerkbar. Demographen sagten einen »rassistischen Gegenschlag«
voraus. Die Feindseligkeit gegen Einwanderer hatte nach Dr. Daruwallas Ansicht vorwiegend
rassistische Gründe; der Doktor war sehr hellhörig für den Ausdruck »Minderheiten«
geworden. Er wußte, daß damit nicht die Italiener oder die Deutschen oder die Portugiesen
gemeint waren, die in den fünfziger Jahren nach Kanada ausgewandert waren. Bis vor
zehn Jahren kam der weitaus größte Anteil der Einwanderer aus Großbritannien.
    Inzwischen nicht
mehr. Jetzt kamen die Einwanderer aus Hongkong, China und Indien; die Hälfte aller
Einwanderer, die sich in diesem Jahrzehnt in Kanada niedergelassen hatten, waren
Asiaten. Derzeit bestand die Bevölkerung von Toronto zu fast vierzig Prozent aus
Einwanderern – das waren über eine Million Menschen.
    Es tat Macfarlane
weh, Farrokh so niedergeschlagen zu sehen. »Glaub mir, Farrokh«, sagte er. »Ich
weiß, daß es kein Zuckerschlecken ist, als Einwanderer in diesem Land zu leben,
und obwohl ich überzeugt bin, daß diese Halunken, die dich in Little India abgeladen
haben, auch andere Einwanderer aufs Korn nehmen, glaube ich nicht, daß sie ›andauernd‹,
wie du sagst, Leute durch die ganze Stadt karren.«
    [926]  »Du meinst, es
ist kein Honiglecken? Du hast ›Zuckerschlecken‹ gesagt«, korrigierte Farrokh seinen
Freund.
    »Das ist doch dasselbe«,
erwiderte Macfarlane.
    »Weißt du, was mein
Vater mal zu mir gesagt hat?« fragte Dr. Daruwalla.
    »War es vielleicht:
›Einwanderer bleiben ihr Leben lang Einwanderer‹?« erkundigte sich Macfarlane.
    »Ach, dann habe
ich dir das schon erzählt«, sagte Farrokh.
    »Unzählige Male«,
antwortete Mac. »Aber ich habe den Eindruck, daß du andauernd daran denkst.«
    »Andauernd«, wiederholte
Farrokh. Er war dankbar, daß Mac ein so guter Freund war. Dr. Macfarlane hatte Farrokh
auch dazu überredet, eine Zeitlang als freiwilliger Helfer in der Aids-Sterbeklinik
in Toronto Dienst zu tun, in der Duncan Frasier gestorben war. Farrokh arbeitete
jetzt seit über einem Jahr in der Klinik mit. Anfangs konnte er selbst nur Vermutungen
über seine Motive anstellen, die er Mac anvertraute. Auf dessen Rat hin sprach er
auch mit dem Pflegedienstleiter darüber, warum er sich besonders für die Klinik
interessierte.
    Es war ihm unangenehm
gewesen, einem Fremden von seiner Beziehung zu John D. zu erzählen – und zuzugeben,
daß dieser junge Mann, der für ihn wie ein Adoptivsohn war, schon immer homosexuell
gewesen war und er das nicht gewußt hatte, bis John D. fast vierzig war; und daß
er und der gar nicht mehr so junge »junge Mann« auch jetzt, nachdem dessen sexuelle
Neigung offen zutage lag, noch immer nicht darüber sprachen (zumindest nicht ausführlich).
Dr. Daruwalla

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