Zirkuskind
mischte Farrokh sich
ein, der jetzt wieder wie ein Drehbuchautor dachte.
»Ich nicht«, entgegnete
Detective Patel. »Was kümmert es die hijras, ob Dhar Mitglied dieses Clubs ist
oder nicht? Sie wollen nur eins: seinen Penis und seine Hoden.«
»Wem sagen Sie das«,
meinte Inspector Dhar.
»Ich bezweifle sehr,
daß der Mörder Mitglied in diesem Club ist«, sagte Dr. Daruwalla.
»Schließen Sie das
nicht aus«, meinte Dhar.
»Tu ich auch nicht«,
sagte Detective Patel. Er gab Dr. Daruwalla und Inspector Dhar seine Visitenkarte.
»Wenn Sie mich anrufen«, sagte er zu Dhar, »dann lieber zu Hause – an Ihrer Stelle
würde ich im Kriminalkommissariat keine Nachricht hinterlassen. Sie wissen ja selbst,
wieweit man Polizisten vertrauen kann.«
»Ja«, sagte der Schauspieler. »Das weiß ich.«
»Entschuldigen Sie,
Detective Patel«, sagte Dr. Daruwalla. »Wo haben Sie eigentlich den Zwei-Rupien-Schein
gefunden?«
»Er steckte zusammengefaltet
in Mr. Lals Mund«, sagte der Detective.
Nachdem der Kommissar
gegangen war, saßen die zwei Freunde da und lauschten den Geräuschen des späten
Nachmittags. Sie waren so ins Horchen vertieft, daß sie den langwierigen Aufbruch
der zweiten Mrs. Dogar gar nicht bemerkten. Sie verließ ihren Tisch, blieb dann
stehen, um über die Schulter zu dem unempfänglichen Inspector Dhar zurückzublicken,
ging dann ein paar Schritte weiter, bevor sie wieder stehenblieb und sich noch einmal
umsah; nach ein paar Metern schaute sie sich ein drittes Mal um.
[111] Mr. Sethna, der
sie beobachtete, kam zu dem Schluß, daß sie verrückt war. Mr. Sethna beobachtete
jeden Schritt des äußerst komplizierten Abgangs der zweiten Mrs. Dogar aus dem Ladies’
Garden und dem Speisesaal, während Inspector Dhar die Frau überhaupt nicht wahrzunehmen
schien. Der alte Butler fand es interessant, daß Mrs. Dogar ausschließlich Dhar
angestarrt hatte; kein einziges Mal war ihr Blick zu Dr. Daruwalla oder dem Kriminalbeamten
gewandert – aber schließlich hatte Detective Patel auch mit dem Rücken zu ihr dagesessen.
Mr. Sethna beobachtete
auch, wie der Kommissar von der Zelle in der Eingangshalle aus telefonierte. Danach
wurde er vorübergehend von der sichtlich erregten Mrs. Dogar abgelenkt. Als sie
zur Auffahrt hinausmarschierte und dem Parkwächter befahl, ihren Wagen zu holen,
schien der Polizist zu registrieren, daß sie attraktiv war, es eilig hatte und ziemlich
wütend aussah. Vielleicht überlegte er ja, ob diese Frau aussah wie jemand, der
vor kurzem einen alten Mann erschlagen hatte. In Wirklichkeit, dachte Mr. Sethna,
sah die zweite Mrs. Dogar eher so aus, als wäre sie drauf und dran, jemanden umzubringen.
Aber Detective Patel achtete nur flüchtig auf Mrs. Dogar; sein Telefongespräch schien
ihn mehr zu interessieren.
Der Inhalt des Gesprächs
war offenbar so persönlich, daß er nicht einmal Mr. Sethnas Interesse weckte. Er
lauschte nur so lange, bis er sich vergewissert hatte, daß sich die Unterhaltung
nicht um polizeiliche Belange drehte. Mr. Sethna war überzeugt, daß Patel mit seiner
Frau sprach.
»Nein, Herzchen«,
sagte der Detective, hörte dann geduldig zu und sagte schließlich: »Nein, das hätte
ich dir gesagt, Herzchen.« Dann hörte er wieder zu. »Ja, natürlich verspreche ich
das, Herzchen«, sagte er nach einer Weile. Dann schloß er eine Zeitlang die Augen,
während er lauschte. Mr. Sethna, der ihn beobachtete, empfand eine ungeheure Befriedigung
darüber, daß er nie geheiratet hatte. »Ich habe deine Theorien nicht [112] verworfen!«
sagte Detective Patel plötzlich ins Telefon. »Nein, natürlich bin ich nicht böse«,
fügte er resigniert hinzu. »Tut mir leid, wenn es sich böse angehört hat, Herzchen.«
Selbst ein so abgebrühter
Horcher wie Mr. Sethna konnte nicht ein Wort mehr ertragen und beschloß, den Polizisten
sein Gespräch unbelauscht weiterführen zu lassen. Mr. Sethna war kaum überrascht,
daß Detective Patel mit seiner Frau englisch sprach. Der alte Butler schloß daraus,
daß sein Englisch deshalb so überdurchschnittlich gut war – er hatte Übung. Aber
um welch erniedrigenden Preis! Mr. Sethna kehrte in den an den Ladies’ Garden angrenzenden
Teil des Speisesaals und zu seiner ausführlichen Beobachtung von Dr. Daruwalla und
Inspector Dhar zurück. Die beiden waren noch immer in die Geräusche des Spätnachmittags
vertieft. Es war kein besonderes Vergnügen, sie zu beobachten, aber wenigstens waren
sie nicht miteinander
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