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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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verheiratet.
    Die Tennisbälle
waren wieder in Bewegung, und in der Bibliothek schnarchte jemand. Die Hilfskellner
hatten unter dem üblichen Geklapper sämtliche Eßtische abgeräumt, bis auf den, an
dem der Doktor und der Schauspieler bei ihrem kalt gewordenen Tee saßen. (Detective
Patel hatte das ganze Gebäck verputzt.) Die Geräusche im Duckworth Club sprachen
eindeutig für sich: das scharrende Schaben beim Mischen der Spielkarten, das kecke
Klacken der Billardkugeln, das weiche Wischen beim Auskehren des Tanzsaals – er
wurde jeden Nachmittag um die gleiche Zeit gekehrt, obwohl unter der Woche abends
selten Tanzveranstaltungen stattfanden. Dazu kam das irrwitzige, ununterbrochene
Trappen und Quietschen der Schuhe auf dem gebohnerten Hartholzboden des Badminton-Platzes.
Verglichen mit diesem hektischen Treiben hörte sich das dumpfe Ploppen des Federballs
an, als würde jemand Fliegen erschlagen.
    Dr. Daruwalla hielt
den Augenblick nicht für günstig, um [113]  Inspector Dhar noch eine schlechte Nachricht
zu überbringen. Der Mord und die ungewöhnliche Morddrohung waren für einen Nachmittag
wahrhaftig genug. »Vielleicht solltest du zum Supper zu uns kommen«, sagte Dr. Daruwalla
zu seinem Freund.
    »Ja, gern, Farrokh«,
sagte Dhar. Normalerweise hätte er eine abfällige Bemerkung über Dr. Daruwallas
Verwendung des Wortes ›Supper‹ gemacht. Dhar mochte es nicht, wenn man es zu lasch
gebrauchte. Seiner beckmesserischen Meinung nach sollte dieses Wort entweder einer
leichten Mahlzeit am frühen Abend oder einem Essen nach dem Theater vorbehalten
bleiben. Seiner Ansicht nach verwendeten Amerikaner dieses Wort gern so, als wäre
es austauschbar mit ›Dinner‹. Farrokh hielt ›Supper‹ und ›Dinner‹ wirklich für austauschbar.
    Trotz des kritischen
Tons, den Dr. Daruwalla jetzt anschlug, lag etwas Väterliches in seiner Stimme,
als er zu Dhar sagte: »Es ist ziemlich unpassend, wenn du jemand völlig fremdem
gegenüber in einem derart akzentfreien Englisch herumtönst.«
    »Polizisten sind
nicht unbedingt Fremde für mich«, meinte Dhar. »Sie reden miteinander, aber nie
mit der Presse.«
    »Ach, ich habe ja
ganz vergessen, daß du über die Polizei genau Bescheid weißt!« entgegnete Farrokh
sarkastisch. Darauf reagierte Inspector Dhar wieder wie immer; er konnte recht gut
den Mund halten. Dr. Daruwalla bereute seine Rüge. Denn eigentlich hatte er sagen
wollen: Mein lieber Junge, gut möglich, daß du in dieser Geschichte nicht der Held
bist! Und jetzt wollte er sagen: Mein lieber Junge, es gibt wirklich Menschen, die
dich sehr gern haben. Ich zum Beispiel habe dich sehr gern. Das weißt du doch sicher!
    Doch statt dessen
sagte Dr. Daruwalla: »Als Ehrenvorsitzender des Mitgliederausschusses fühle ich
mich verpflichtet, den Ausschuß über diese Drohung, die alle Mitglieder betrifft,
zu informieren. Wir werden abstimmen, aber ich bin sicher, die [114]  meisten sind dafür,
daß alle Clubmitglieder davon erfahren sollten.«
    »Selbstverständlich
sollten sie das«, meinte Inspector Dhar. »Und ich sollte nicht Mitglied bleiben.«
    Für Dr. Daruwalla
war es unvorstellbar, daß ein Erpresser und Mörder urplötzlich den eigentlichen
Reiz des Duckworth Club zunichte machen konnte, der (seiner Ansicht nach) in der
völligen Abgeschiedenheit, ja fast Isoliertheit bestand, die den Duckworthianern
das köstliche Gefühl bescherte, gar nicht wirklich in Bombay zu sein.
    »Mein lieber Junge«, sagte der Doktor. »Was wirst du tun?«
    Dhars Antwort hätte
Dr. Daruwalla eigentlich nicht so verblüffen dürfen, wie das der Fall war; immerhin
hatte er sie viele Male gehört, in jedem Inspector-Dhar-Film. Schließlich stammte
sie aus seiner Feder. »Was ich tun werde?« überlegte Dhar laut. »Herausfinden, wer
es war, und ihn schnappen.«
    »Verschanz dich
mir gegenüber nicht hinter deiner Rolle!« herrschte Dr. Daruwalla ihn an. »Du bist
hier nicht in einem Film!«
    »Ich bin immer in
einem Film«, brauste Dhar auf. »Ich bin in einem Film geboren! Danach wurde ich
fast umgehend in einen neuen Film versetzt, stimmt’s?«
    Da Dr. Daruwalla
und seine Frau vermutlich die einzigen Menschen in Bombay waren, die genau wußten,
wer der junge Mann war und woher er stammte, war jetzt der Doktor derjenige, der
den Mund hielt. Tief in uns, dachte Dr. Daruwalla, schlummert offenbar ein gewisses
Mitgefühl für jene Menschen, die sich stets wie durch eine Glasscheibe von ihrer
Umgebung, und sei sie noch so

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