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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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»Schätzungsweise heute morgen – keine zwei Stunden,
bevor Sie die Leiche entdeckt haben!«
    Dr. Daruwalla überlegte.
Während Mr. Bannerjee das Clubhaus nach seinem alten Freund und Golfpartner abgesucht
hatte, war Mr. Lal zum neunten Green und den dahinter befindlichen Bougainvilleen
geschlendert, um nochmals zu üben, wie er der schicksalhaften Sackgasse vom Vortag
beim nächsten Mal entrinnen könnte. Der arme Mr. Lal war nicht etwa zu spät zu dem
verabredeten Spiel gekommen; wenn überhaupt, war er ein bißchen zu früh dran oder
eben zu eifrig gewesen.
    »Aber so schnell
wären keine Geier gekommen«, meinte Dr. Daruwalla. »Man hätte nichts gerochen.«
    »Außer bei ziemlich
viel Blut oder einer offenen Wunde… und dazu noch Sonne«, sagte Inspector Dhar.
Er hatte viel aus seinen Filmen gelernt, auch wenn sie ausgesprochen schlecht waren;
sogar Detective Patel mußte das allmählich zugeben.
    »Aber gewiß«, sagte er. »Da war ja auch ziemlich viel Blut.«
    »Da war viel Blut,
als wir ihn gefunden haben!« sagte Dr. Daruwalla, der noch immer nichts begriff.
»Vor allem um die [106]  Augen und den Mund – ich bin einfach davon ausgegangen, daß
die Geier mit ihrem Werk begonnen hatten.«
    »Geier fangen dort
zu picken an, wo bereits Blut ist, oder an den feuchten Körperstellen«, sagte Detective
Patel. Sein Englisch war ungewöhnlich gut für einen Polizeibeamten – sogar für einen
Kommissar, dachte Dr. Daruwalla.
    Er selbst war, was
sein Hindi betraf, überempfindlich. Es war ihm bewußt, daß Dhar diese Sprache leichter
von der Zunge ging als ihm. Und das war dem Doktor, der sämtliche Filmdialoge und
über die Szene gelegten Texte auf englisch schrieb, etwas peinlich. Die Übersetzung
ins Hindi besorgte Dhar selbst. Sätze, die ihm besonders gefielen – das waren nicht
viele –, beließ der Schauspieler in Englisch. Und hier saß ein nicht ganz gewöhnlicher
Polizeibeamter und genoß es, den anderen eine Nasenlänge voraus zu sein, indem er
mit dem namhaften Kanadier englisch sprach. Dr. Daruwalla nannte das »die kanadische
Behandlung«, wenn ein Einheimischer nicht einmal den Versuch machte, Hindi oder
Marathi mit ihm zu sprechen. Obwohl im Duckworth Club fast alle Leute englisch sprachen,
überlegte Farrokh, was er auf Hindi Geistreiches zu Detective Patel sagen könnte,
aber Dhar (mit seinem akzentfreien Englisch) sprach als erster. Erst da wurde dem
Doktor bewußt, daß Dhar im Gespräch mit dem Kommissar kein einziges Mal in seinen
Hindi-Akzent verfallen war, den er im Showbusiness benutzte.
    »An einem Ohr war
ziemlich viel Blut«, sagte der Schauspieler, als hätte ihn das die ganze Zeit beschäftigt.
    »Sehr gut, das kann
man wohl sagen!« sagte der Detective ermunternd. »Mr. Lal hat einen Schlag hinter
ein Ohr bekommen und einen zweiten auf die Schläfe – wahrscheinlich nachdem er umgefallen
war.«
    »Aber womit?« fragte
Dr. Daruwalla.
    »Womit, wissen wir
– mit seinem Putter!« sagte Detective Patel. »Von wem, wissen wir nicht.«
    [107]  In der 130jährigen
Geschichte des Duckworth Sports Club – über alle Klippen der Unabhängigkeit hinweg
und trotz zahlreicher gewaltträchtiger Zwischenfälle (beispielsweise in jenen wilden
Zeiten, in denen die aufreizende Lady Duckworth ihre Brüste entblößte) – hatte es
nie einen Mord gegeben! Dr. Daruwalla überlegte, wie er dem Mitgliederausschuß diese
Nachricht beibringen sollte.
    Es war typisch für
Farrokh, daß er seinen geschätzten verstorbenen Vater nicht als das erste Mordopfer
in der 130jährigen Geschichte der Duckworthianer in Bombay betrachtete. Das lag
hauptsächlich daran, daß Farrokh sich alle Mühe gab, den Mord an seinem Vater aus
seinen Gedanken zu verdrängen; ferner wollte der Doktor unbedingt vermeiden, daß
der gewaltsame Tod seines Vaters seine ansonsten sonnigen Gefühle für den Duckworth
Club überschattete, der, wie bereits erwähnt, (abgesehen vom Zirkus) der einzige
Ort war, an dem er sich zu Hause fühlte.
    Außerdem war Dr.
Daruwallas Vater nicht direkt im Club ermordet worden. Der Wagen, den er fuhr, explodierte
in Tardeo und nicht im angrenzenden Stadtteil Mahalaxmi. Allerdings wurde allgemein
eingeräumt, sogar von den Duckworthianern, daß die Autobombe wahrscheinlich auf
dem Parkplatz des Duckworth Club am Wagen des alten Daruwalla angebracht worden
war. Im selben Atemzug wiesen die Duckworthianer darauf hin, daß das einzige andere
Opfer nichts mit dem Club zu tun hatte. Die arme

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