Zirkuskind
Frau war nicht einmal dort angestellt
gewesen, sondern eine Bauarbeiterin, die angeblich einen Strohkorb voller Steine
auf dem Kopf vorbeigetragen hatte, als der wegfliegende vordere rechte Kotflügel
des Autos ihr den Kopf abschlug.
Aber das war eine
alte Geschichte. Der erste Duckworthianer, der wirklich auf dem Gelände des Duckworth
Club ermordet wurde, war Mr. Lal.
[108] »Mr. Lal«, erklärte
Detective Patel, »war damit beschäftigt, einen ›Mashie‹, so nennt man das, glaube
ich, zu schwingen, oder war es ein ›Wedge‹… wie heißt denn das Eisen, mit dem man
einen Chip schlägt?« Weder Dr. Daruwalla noch Inspector Dhar waren Golfspieler.
Mashie oder Wedge hörte sich für ihre Ohren ebenso richtig wie lächerlich an. »Na
ja, spielt ja keine Rolle«, meinte der Detective. »Mr. Lal hatte ein Eisen in der
Hand, als er von hinten ein anderes auf den Schädel bekam – seinen eigenen Putter!
Den und seine Schlägertasche haben wir in den Bougainvilleen gefunden.«
Inspector Dhar hatte
eine vertraute Filmpose eingenommen; vielleicht dachte er auch nur nach. Er hob
das Gesicht und strich sich mit den Fingern leicht übers Kinn, eine Geste, die sein
höhnisches Lächeln noch betonte. Dann sagte er etwas, was Dr. Daruwalla und Kommissar
Patel ihn schon viele Male hatten sagen hören – er sagte es in jedem Film:
»Verzeihen Sie,
wenn ich jetzt theoretisch werde«, sagte Dhar. Das war einer seiner Lieblingssätze,
die er mit Vorliebe auf englisch von sich gab, obgleich er sie (mehr als einmal)
auch auf Hindi sagte. »Mir scheint«, fuhr Dhar fort, »daß es dem Mörder ziemlich
egal war, wen er umbrachte. Mr. Lal war mit niemanden in den Bougainvilleen beim
neunten Green verabredet gewesen. Er hielt sich nur zufällig dort auf – das konnte
der Mörder nicht gewußt haben.«
»Sehr gut«, sagte Detective Patel. »Bitte fahren Sie fort.«
»Da es dem Mörder
offenbar nicht darum ging, wen er umbrachte«, sagte Inspector Dhar, »ging es ihm
vielleicht nur darum, daß das Opfer einer von uns ist.«
»Meinst du, ein
Clubmitglied?« fragte Dr. Daruwalla. »Meinst du, ein Duckworthianer?«
»Das ist nur eine
Theorie«, sagte Inspector Dhar. Auch das war wie ein Refrain, denn auch das sagte
er in jedem Film.
»Es gibt einige
Hinweise, die Ihre Theorie untermauern, [109] Mr. Dhar«, sagte Detective Patel fast
beiläufig. Der Kommissar holte eine Sonnenbrille aus der Brusttasche seines gestärkten
weißen Hemds, auf dem nicht die leiseste Spur von der letzten Mahlzeit zu sehen
war. Dann griff er tiefer in die Tasche und brachte ein quadratisch zusammengefaltetes
Stück Plastikfolie zum Vorschein, groß genug, um darin eine Tomatenscheibe oder
eine Zwiebelhälfte einzuwickeln. Aus der Folie holte er einen Zwei-Rupien-Schein,
den zuvor jemand in eine Schreibmaschine eingespannt haben mußte, denn auf der Seite
mit der Seriennummer stand in Großbuchstaben folgende Warnung: MEHR MITGLIEDER
STERBEN, WENN DHAR MITGLIED BLEIBT.
»Verzeihen Sie,
Mr. Dhar, wenn ich Sie etwas Naheliegendes frage«, sagte Detective Patel.
»Ja, ich habe Feinde«,
sagte Dhar, ohne die Frage abzuwarten. »Jawohl, es gibt Leute, die mich gern umbringen
würden.«
»Alle würden ihn
gern umbringen!« rief Dr. Daruwalla. Dann berührte er die Hand des jüngeren Mannes.
»Tut mir leid«, sagte der Doktor.
Kommissar Patel
steckte den Zwei-Rupien-Schein wieder in die Brusttasche. Als er die Sonnenbrille
aufsetzte, schloß Dr. Daruwalla aus seinem bleistiftdünnen Schnurrbart, daß sich
Patel offenbar mit jener pedantischen Sorgfalt rasierte, die er selbst mit Mitte
Zwanzig aufgegeben hatte. Ein unterhalb der Nase und über der Oberlippe genau abgezirkelter
Schnurrbart erforderte die ruhige Hand eines jungen Mannes. In seinem Alter mußte
der Kommissar den Ellbogen sicher gut am Spiegel abstützen, denn für diese Art von
Rasur mußte man die Rasierklinge aus der Halterung nehmen und zwischen Daumen und
Zeigefinger halten. Eine zeitraubende Eitelkeit für einen Mann über Vierzig, wie
Farrokh fand. Möglicherweise ließ sich der Kommissar ja auch rasieren – vielleicht
von einer jüngeren Frau mit ruhiger Hand.
»Alles in allem«,
sagte der Detective zu Dhar, »gehe ich nicht [110] davon aus, daß Sie alle Ihre Feinde
kennen.« Er wartete die Antwort nicht ab. »Ich vermute, wir können mit sämtlichen
Prostituierten anfangen – nicht nur den hijras – und den meisten Polizisten.«
»Ich würde bei den hijras anfangen«,
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