Zirkuskind
angemalt – wie für
eine religiöse Kulthandlung oder ein Stammesfest. Da er ständig mit den Fingern
in den Ohren herumpulte, waren auch seine Fingerspitzen blauviolett gefleckt.
Aber Lowji war trotzdem
beeindruckt von dem sagenhaften künstlerischen Temperament des ersten (und einzigen)
Hollywood-Regisseurs, dem er je begegnet war. Er erzählte seiner Frau Meher – und
sie erzählte es Farrokh –, wie »charmant« er es doch fände, daß Hathaway seine Hämorrhoiden
und seinen Fungus weder der Ernährung aus der Badewanne noch dem Bombayer Klima
anlastete. Statt dessen gab der Regisseur »dem [147] verdammten Streß« die Schuld,
den das kompromißbehaftete Verhältnis zu dem spießigen Produzenten mit sich brachte,
dem er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war – einem »Anzug«, an dem er kein gutes
Haar ließ und der (welch ein Zufall) mit Gordons ehrgeiziger Schwester verheiratet
war.
»Diese trübselige
Fotze!« rief Gordon immer wieder aus. Auch wenn er als Regisseur jede Originalität
vermissen ließ, hatte er doch zumindest diesen vulgären Ausdruck selbst geprägt.
»Bin meiner Zeit verdammt weit voraus«, pflegte er zu sagen, wenn er von sich sprach.
In diesem Fall mochte er recht haben.
Meher und Farrokh
fanden es frustrierend, mit anhören zu müssen, wie Lowji Gordon Hathaways Grobschlächtigkeit
mit dem Hinweis auf sein »künstlerisches Temperament« verteidigte. Es war nie ganz
klar, ob es dem spießigen Produzenten deshalb gelang, einen gewissen Druck auf Gordon
auszuüben, weil dieser dem »Anzug« unbedingt gefallen wollte, oder ob die eigentliche
Triebfeder Gordons Schwester war, die »trübselige Fotze«. Es war nie ganz klar,
wer wen im Griff hatte, »an den Eiern«, wie Gordon es formulierte; man wußte nie
genau, wer an wessen »Fäden zog«, wie er es bei anderen Gelegenheiten ausdrückte.
Als Neuling, der
den schöpferischen Prozeß miterleben durfte, ließ sich Lowji von derlei Gerede nicht
abschrecken. Vielmehr versuchte er, Gordon Hathaway die ästhetischen Prinzipien
zu entlocken, von denen sich dieser trotz aller Hektik, mit der dieser Film gemacht
wurde, angeblich leiten ließ. Selbst ein Neuling spürte das rasante Tempo, in dem
dieser Film gedreht wurde; selbst Lowji mit seiner noch unentwickelten künstlerischen
Ader bemerkte, welche Spannung jeden Abend in der Luft lag, wenn das Drehbuch im
Speisesaal des Duckworth Club überarbeitet wurde.
»Ich verlasse mich
beim Erzählen einer Geschichte auf [148] meinen verdammten Instinkt, mein Freund«,
vertraute Gordon Hathaway dem alten Daruwalla an, der so eifrig nach einer Beschäftigung
für den Ruhestand suchte. »Das ist das verdammte A und O.«
Farrokh und seine
arme Mutter fanden es zutiefst beschämend, mit ansehen zu müssen, wie sich Lowji
während des ganzen Abendessens Notizen machte.
Der Drehbuchautor
nun, der ebenfalls von einem »anspruchsvollen« Film träumte und dessen Traum allabendlich
vor seinen Augen katastrophale Formen annahm, war ein Alkoholiker, dessen Zeche
an der Bar des Duckworth Club nicht nur die finanziellen Grenzen der Familie Daruwalla
zu sprengen drohte, sondern selbst dem unerschöpflichen Portemonnaie der betuchten
Promila Rai weh tat. Der Mann hieß Danny Mills, und ursprünglich hatte er eine Geschichte
über ein Ehepaar geschrieben, das nach Indien fährt, weil die Frau bald an Krebs
sterben wird; das Paar hatte sich fest vorgenommen, »eines Tages« eine Reise nach
Indien zu machen. Ursprünglich trug das Drehbuch den ausgesprochen ernsten Titel Eines
Tages fahren wir nach Indien; dann gab ihm Gordon Hathaway den neuen Titel Eines Tages fahren
wir nach Indien, Liebling . Diese kleine Veränderung machte eine gründliche Überarbeitung
der Geschichte erforderlich und stürzte Danny Mills nur noch tiefer in seinen alkoholischen
Trübsinn.
Für Danny Mills
war es eigentlich ein Fortschritt, daß er dieses Drehbuch von Grund auf geschrieben
hatte. Es war, ursprünglich zumindest, seine ureigene Geschichte. Angefangen hatte
Danny Mills als ganz bescheidener Auftragsschreiber für Filmstudios; in seinem ersten
Job, bei Universal Pictures, bekam er hundert Dollar die Woche und durfte nur an
bereits vorliegenden Drehbüchern herumpfuschen. Auf sein Konto gingen nach wie vor
mehr »Zusatzdialoge« als Nennungen als »Co-Autor«, und die Filme, deren Drehbücher
er ganz allein [149] geschrieben hatte (es waren nur zwei), waren totale Flops. Im
Augenblick brüstete er sich damit,
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