Zirkuskind
Indien
zu lenken. Sicher würden die folgenschweren Unruhen, die die Teilung des Landes
und die Unabhängigkeit begleitet hatten (eine Million Hindus und Muslime waren dabei
umgekommen, und zwölf Millionen geflohen), die Ausländer wenigstens ein bißchen
interessieren.
»Hör zu, Junge«,
sagte Gordon Hathaway, »wenn du einen Scheißfilm machst, interessiert dich nichts
anderes.« Alle am Tisch pflichteten ihm kräftig bei. Für Farrokh sprach das Schweigen
seines Vaters, der sonst kein Blatt vor den Mund nahm, Bände. Nur Danny Mills schien
sich für Lokalkolorit zu interessieren; allerdings schien er auch betrunken zu sein.
Obwohl Danny Mills
Religion und Politik für eine langweilige Form von »Lokalkolorit« hielt, war er
enttäuscht, daß Eines Tages fahren wir nach Indien, Liebling sowenig mit Indien zu tun hatte.
Er hatte bereits vorgeschlagen, die religiösen Gewalttaten zur Zeit der Teilung
doch wenigstens kurz im Hintergrund der Geschichte auftauchen zu lassen.
»Politik ist bloß
Scheißgequatsche«, hatte Gordon Hathaway gesagt und damit diese Anregung verworfen.
»Am Schluß muß ich die ganze Kacke bloß wieder rausschneiden.«
Danny Mills nutzte
die Kabbelei zwischen dem Regisseur [152] und Farrokh, um seinen Vorschlag zu wiederholen,
die Spannungen zwischen Muslimen und Hindus im Film wenigstens anzudeuten, worauf
Gordon Hathaway Farrokh kurzerhand aufforderte, ihm einen einzigen »wunden Punkt«
im Verhältnis zwischen Muslimen und Hindus zu nennen, der sich im Film nicht langweilig
ausnehmen würde. Da sich in diesem Jahr Hindus mit Götzenbildern ihres göttlichen
Prinzen Rama in die Moschee des indischen Großmoguls Babar geschlichen hatten, bildete
sich Farrokh ein, eine brauchbare Geschichte parat zu haben. Die Hindus hatten behauptet,
die Stelle, an der die Moschee stehe, sei der Geburtsort Ramas, doch als sie ihre
hinduistischen Götzenbilder in der historischen Moschee aufstellten, kam das bei
den Muslimen gar nicht gut an, da sie Götzenbilder jeglicher Art ablehnen. Muslime
glauben nicht an die bildliche Darstellung Gottes und erst recht nicht einer Vielzahl
von Göttern, während die Hindus Götterbilder (und jede Menge Götter) anbeten. Um
noch mehr Blutvergießen zwischen Hindus und Muslimen zu verhindern, ließ die Regierung
die Moschee von Babar schließen. »Vielleicht hätten sie die Götterbilder von Rama
erst entfernen sollen«, erklärte Farrokh. Die Muslime waren empört, daß diese hinduistischen
Idole in ihrer Moschee standen. Die Hindus wollten nicht nur, daß sie dort blieben,
sondern sie wollten auf dem Gelände einen Tempel für Rama erbauen.
An diesem Punkt
unterbrach Gordon Hathaway Farrokhs Geschichte, um erneut sein Mißfallen über derartiges
Gequatsche kundzutun. »Du wirst nie fürs Kino schreiben, Junge«, sagte Gordon. »Wenn
du fürs Kino schreiben willst, mußt du schneller zur Sache kommen.«
»Ich glaube nicht,
daß wir das verwenden können«, sagte Danny Mills nachdenklich, »aber es war eine
hübsche Geschichte.«
»Danke«, sagte Farrokh.
[153] Die arme Meher,
die in letzter Zeit häufig vernachlässigte Mrs. Daruwalla, fühlte sich ausreichend
provoziert, um das Thema zu wechseln. Sie merkte an, wie angenehm doch die aufkommende
abendliche Brise sei. Sie wies auf die raschelnden Blätter eines Paternosterbaums
im Ladies’ Garden hin. Meher hätte sich noch weiter über die Vorzüge des Paternosterbaums
ausgelassen, sah jedoch, daß das – ohnehin nie sehr große – Interesse der Ausländer
ganz eingeschlafen war.
Gordon Hathaway
hatte sich die violetten Wattestöpsel aus den Ohren gezogen und schüttelte sie wie
Würfel in seiner geschlossenen Hand. »Was für ein Scheißbaum ist das denn, dieser
Paternosterbaum?« fragte er, als hätte der Baum aus irgendeinem Grund sein Mißfallen
erregt.
»Das ist irgend
so ein tropischer Baum, glaube ich«, sagte Danny Mills. »In der Stadt gibt es die
überall.«
»Sie haben sicher
schon welche gesehen«, sagte Farrokh zu dem Regisseur.
»Hör zu, Junge«,
sagte Gordon Hathaway, »wenn du einen Film machst, hast du keine Zeit, dir irgendwelche
Scheißbäume anzuschauen.«
Sicher war es für
Meher schwer zu ertragen, an Lowjis Gesicht ablesen zu müssen, daß er diese Bemerkung
sehr weise fand. Unterdessen signalisierte Gordon Hathaway, daß das Gespräch beendet
war, indem er seine Aufmerksamkeit einem hübschen, minderjährigen Mädchen an einem
Nebentisch zuwandte. Auf diese Weise bekam
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