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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Feigling halten, weil er
Dhar die beunruhigende Neuigkeit noch nicht mitgeteilt hat, obwohl er doch weiß,
daß Dhars Zwillingsbruder jetzt jederzeit in Bombay eintreffen kann. Trotz alledem
bringt er es weder fertig, sein Bier zu trinken, noch sich von seinem Stuhl zu erheben,
fast als wäre er das zweite Opfer, niedergeknüppelt von demselben Putter, der dem
armen Mr. Lal den Schädel eingeschlagen hat.
    Während der ganzen
Zeit hat Mr. Sethna ihn beobachtet. Und Mr. Sethna macht sich Sorgen um den Doktor,
denn er hat noch nie erlebt, daß er sein Kingfisher stehen läßt. Die Hilfskellner
tuscheln, weil sie die Tischdecken im Ladies’ Garden auswechseln müssen. Die für
den Abend sind safrangelb und sehen ganz anders aus als die eher zinnoberroten,
die zum Lunch aufgelegt werden. Aber Mr. Sethna läßt nicht zu, daß Dr. Daruwalla
gestört wird. Auch wenn Mr. Sethna weiß, daß Farrokh nicht aus demselben Holz ist
wie sein Vater, geht seine [142]  Loyalität gegenüber Lowji fraglos bis über das Grab
hinaus; sie erstreckt sich nicht nur auf Lowjis Kinder, sondern sogar auf diesen
rätselhaften, hellhäutigen Jungen, den er Lowji öfter als einmal als »meinen Enkel«
hatte bezeichnen hören.
    Mr. Sethnas Loyalität
gegenüber dem Namen Daruwalla reicht so weit, daß er keinen Klatsch in der Küche
duldet. Da gibt es zum Beispiel einen älteren Koch, der schwört, dieser sogenannte
Enkel sei kein anderer als der schneeweiße Schauspieler, der sich jetzt vor ihnen
als Inspector Dhar produziert. Obwohl Mr. Sethna insgeheim vielleicht auch dieser
Meinung ist, versteift er sich darauf, daß das nicht stimmen kann. Wenn Dr. Daruwalla
junior behauptet, Dhar sei weder sein Neffe noch sein Sohn – und das hat er behauptet –, gibt sich Mr. Sethna damit zufrieden. Vor dem Küchenpersonal und sämtlichen Kellnern
und Hilfskellnern erklärt er mit Nachdruck: »Dieser Junge, den wir mit dem alten
Dr. Daruwalla gesehen haben, war jemand anderer.«
    Jetzt schwebt ein
halbes Dutzend Hilfskellner in das abnehmende Licht im Ladies’ Garden, wortlos dirigiert
von Mr. Sethnas durchdringenden Blicken und knappen Handzeichen. Auf Dr. Daruwallas
Tisch stehen nur ein paar Untersetzer und ein Aschenbecher, außerdem eine Vase mit
Blumen und das warme Bier. Jeder Hilfskellner kennt seine Handgriffe im Schlaf:
Der eine nimmt den Aschenbecher, und ein anderer entfernt das Tischtuch, genau eine
Sekunde nachdem Mr. Sethna das unberührte Bier an sich genommen hat. Drei Hilfskellner
tauschen das zinnoberrote Tischtuch gegen ein safranfarbenes aus; dann werden wieder
dieselben Blumen und ein frischer Aschenbecher auf den Tisch gestellt. Dr. Daruwalla
merkt zunächst gar nicht, daß Mr. Sethna das warme Kingfisher gegen ein kaltes vertauscht
hat.
    Erst nachdem alle
wieder verschwunden sind, scheint Dr. Daruwalla wahrzunehmen, daß die Dämmerung
das leuchtende [143]  Rosa und Weiß der Bougainvilleen im Ladies’ Garden gedämpft hat
und daß sich an seinem randvollen Glas Kingfisher frische Kondenswasserperlen bilden.
Das Glas ist so feucht und kühl, daß es seine Hand wie ein Magnet anzieht. Das Bier
ist so kalt und erfrischend, daß er einen langen, dankbaren Schluck trinkt – und
dann noch einen und noch einen. Er trinkt, bis das Glas leer ist, bleibt aber noch
an seinem Tisch im Ladies’ Garden sitzen, als würde er auf jemanden warten – obwohl
er weiß, daß seine Frau ihn zu Hause erwartet.
    Es dauert eine Zeitlang,
bis der Doktor daran denkt, sich nachzuschenken. Die Flasche faßt 0,7 Liter – entschieden
zuviel Bier für einen Zwerg, denkt Farrokh. Dann huscht ein Schatten über sein Gesicht,
der hoffentlich schnell vorüberzieht. Aber der bekümmerte Blick bleibt, starr in
die Ferne gerichtet und so bitter wie der Nachgeschmack des Biers. Mr. Sethna kennt
diesen Blick; er weiß sofort, daß die Vergangenheit Dr. Daruwalla eingeholt hat,
und aufgrund der Bitterkeit in des Doktors Gesicht glaubt Mr. Sethna zu wissen,
um welche Vergangenheit es sich handelt. Um dieses Filmvolk. Es ist wieder zurückgekehrt.

[144]  5
    Die Parasiten
    Bekanntschaft mit dem Filmgeschäft
    Der Regisseur
Gordon Hathaway sollte sein Leben auf dem Santa Monica Freeway beenden, aber im
Sommer 1949 schwamm er noch auf der verebbenden Erfolgswoge eines Detektivfilms
dahin. Absurderweise hatte dieser Film in ihm die lange schlummernde Sehnsucht geweckt,
das zu machen, was in der Filmbranche als »anspruchsvoller« Film bezeichnet wird.
Daraus

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