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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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als zu schlafen, und Dr. Lowji Daruwalla war beunruhigt über die
Mengen von Schlaftabletten, die sie verlangte. Doch er war so verrückt nach dem
ganzen Filmrummel, daß er sogar sie »bezaubernd« fand.
    Sein Sohn Farrokh
war von Veronica Rose nicht unbedingt bezaubert; er war aber auch nicht ganz immun
gegen ihre Reize. Bald suchten den zarten Neunzehnjährigen die widersprüchlichsten
Empfindungen heim. Vera war eindeutig eine primitive junge Frau, was für einen Neunzehnjährigen
nicht ohne Reiz ist, zumal wenn die betreffende Frau prickelnderweise älter ist
– Vera war fünfundzwanzig. Zudem fand Farrokh – obwohl er nichts davon wußte, daß
Vera gelegentlich zum Vergnügen ihre Brüste entblößte –, daß die Schauspielerin
eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den alten Fotografien der Lady Duckworth hatte,
die er so liebte.
    Es war an einem
Abend im leeren Tanzsaal gewesen, an dem nicht einmal der dicke Steinboden und das
ständige Kreiseln der Deckenventilatoren die erstickend feuchte Nachtluft abzukühlen
vermochten, die so schwer auf dem Duckworth Club lastete wie ein vom Arabischen
Meer hereinziehender Nebel. Selbst Atheisten wie Lowji beteten um den Monsunregen.
Nach dem Abendessen hatte Farrokh Vera vom Tisch in den Tanzsaal geleitet, nicht
um mit ihr zu tanzen, sondern um ihr die Fotos von Lady Duckworth zu zeigen.
    »Es gibt jemanden,
dem Sie ähnlich sehen«, sagte der junge Mann zu der Schauspielerin. »Bitte kommen
Sie mit und überzeugen Sie sich selbst.« Dann lächelte er seine Mutter Meher an,
die offensichtlich weder die mürrische Arroganz von Neville Eden zu ihrer Linken
sonderlich unterhaltsam fand noch den betrunkenen Danny Mills, der rechts neben
ihr saß, den Kopf auf den verschränkten Armen, die auf seinem Teller lagen.
    »Genau!« sagte Gordon
Hathaway zu seiner Nichte. »Du solltest dir mal die Fotos von diesem Frauenzimmer
anschauen, [169]  Vera. Die hat auch überall ihre Titten rumgezeigt!« Dieses Wörtchen
»auch« hätte Farrokh warnen sollen, aber er ging davon aus, daß Gordon lediglich
meinte, Lady Duckworth habe sich, abgesehen von ihren anderen Eigenheiten, auch
noch entblößt.
    Veronica Rose trug
ein ärmelloses Musselinkleid, das an ihrem Rücken klebte, der von der Stuhllehne
schweißnaß war; ihre nackten Oberarme waren ein unzumutbares Ärgernis für die Duckworthianer,
vor allem für den erst kürzlich eingestellten Butler Mr. Sethna, der es als gläubiger
Parse für eine skandalöse Ungehörigkeit hielt, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit
ihre Oberarme entblößte – da konnte die Schlampe ja gleich ihre Brüste herzeigen!
    Als Vera die Bilder
von Lady Duckworth sah, fühlte sie sich geschmeichelt. Sie streifte sich die feuchten,
blonden Haare aus dem schlanken, nassen Nacken und wandte sich dem jungen Farrokh
zu, der angesichts eines Schweißbächleins, das neben Veras Achselhöhle herabrann,
einen erregten Schauder verspürte. »Vielleicht sollte ich das Haar so tragen wie
sie«, sagte Vera und ließ ihr Haar wieder herunterfallen. Als Farrokh ihr durch
den Speisesaal folgte, konnte er nicht umhin, durch den durchnäßten Rücken ihres
Kleides zu bemerken, daß sie keinen BH trug.
    »Na, wie gefällt
dir die verdammte Exhibitionistin?« fragte Gordon seine Nichte, als sie an den Tisch
zurückkehrte.
    Vera knöpfte ihr
weißes Musselinkleid vorne auf und zeigte allen am Tisch ihre Brüste – auch Lowji
Daruwalla und Mrs. Daruwalla. Und die Lals, die mit den Bannerjees an einem Tisch
in der Nähe aßen, sahen Veronica Roses Brüste bestimmt auch ganz deutlich. Und Mr.
Sethna, gerade erst aus dem Ripon Club entlassen, weil er ein unmanierliches Mitglied
mit heißem Tee attackiert hatte – Mr. Sethna umklammerte sein silbernes Serviertablett,
als spiele er mit dem Gedanken, die HollywoodSchnalle damit zu erschlagen.
    [170]  »Na, was haltet
ihr davon?« fragte Vera ihr Publikum. »Ich weiß nicht, ob sie eine Exhibitionistin
war – ich glaube, sie war einfach irre scharf!« Dann fügte sie hinzu, daß sie ins
Taj Mahal zurückkehren wolle, wo vom Meer her wenigstens eine Brise wehte. In Wirklichkeit
freute sie sich darauf, die Ratten zu füttern, die sich unter dem Gateway of India
am Ufer versammelten. Es machte ihr Spaß, diese Ratten, die keine Angst vor Menschen
hatten, mit erlesenen Brosamen von ihrer Mahlzeit anzulocken – so wie andere Leute
gern Enten oder Tauben fütterten. Danach würde sie in Nevilles Zimmer gehen und
mit gespreizten

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